(Einladung zur Uraufführung)

K, Wyborny

DAS SZENISCHE OPFER

(An Rhein und Ruhr)

47 Stücke auf Film mit einem Prolog und einem lyrischen Intermezzo

55 Minuten 16mm stumm / silent 1980

Regie Buch Kamera Produktion Musik und Schnitt: K.Wyborny

Preis der Deutschen Filmkritik 1981


Inhalt und Drehorte:

1. Prolog

2. T-Serie 1. Stimme:

T1-1 Neunkirchen Vluyn Kohlehalde 13. 4. 80
T2-1 Düsseldorf Hafen III Getreidesilo 14. 3. 80
T3-1 Düsseldorf Hafen III (gegenüber von T2) 14. 3. 80
T4-1 Dortmund Parcevalstraße 15. 4. 80
T5-1 Dortmund Parcevalstraße (gegenüber von T4) 15. 4. 80
T6-1 Dortmund Hafen 15. 6. 80

3. R-Serie:

R1 Duisburg Hüttenheim Mannesmannstraße 18.3. 80
R2 Duisburg Hamborn Sackgasse vor Thyssenhütte 18. 3. 80
R3 Duisburg Kulturhafen 16. 3. 80
R4 Duisburg Hüttenheim Rheinuferstraße 17. 3. 80
R5 Duisburg Hüttenheim Am Kreuzacker 17. 3. 80
R6 Duisburg Rheinhausen 18. 3. 80

4. W-Serie:

W2 Duisburg Ruhrhafen 22. 3. 80
W3 Duisburg Alt Wasum, auf dem Rheindeich 22. 3. 80
W4 Duisburg Hamborn Berliner Straße 20. 3. 80
W5 Duisburg Hamborn Alsumer Berg 21. 3. 80

5. G Serie:

G1 Kohlekraftwerk Bottrop
G2 Baggersee bei Wülfrath
G3 Kraftwerk Düsseldorf
G4 Am Rhein bei Duisburg
G5 Zeche (nicht mehr lokalisierbar)
G6 Häuser (Moderne Vorstadt, nicht mehr lokalisierbar)
G7 Gelsenkirchen Kraftwerk Scholven

6. T-Serie (zweistimmig):

T1 Neunkirchen Vluyn Kohlehalden 13. 4. 80
T2 Düsseldorf Hafen III Getreidesilo 14. 3. 80
T3 Düsseldorf Hafen III (gegenüber von T2) 14. 3. 80
T4 Dortmund Parcevalstraße 15. 4. 80
T5 Dortmund Parcevalstraße (gegenüber von T4) 15. 4. 80
T6 Dortmund Hafen 15. 6. 80

7. S-Serie (zweistimmig):

S1 Herne Zeche Friedrich der Große (im Abbruch) 22. 4. 80
S3 Bochum Zeche Hannover (im Abbruch) 21. 4. 80
S4 Bochum Zeche Lothringen (im Abbruch) 21. 4. 80
S5 Bochum Zeche Hannover - Kraftwerk (in Abbruch) 21. 4. 80

8. S-Serie: die Einzelstimmen:

S1-1/2 Herne Zeche Friedrich der Große 22. 4. 80
S3-1/2 Bochum Zeche Hannover 21. 4. 80
S4-1/2 Bochum Zeche Lothringen 21. 4. 80
S5-1/2 Herne Zeche Hannover - Kraftwerk 21. 4. 80

9. T-Serie 2. Stimme:

T6-2 Dortmund Hafen 15. 6. 80
T5-2 Dortmund Parcevalstraße (gegenüber von T4) 15. 4. 80
lyrischer Einschub aus Puerto Rico (März 1979)
T4-2 Dortmund Parcevalstraße 15. 4. 80
T3-2 Düsseldorf Hafen III (gegenüber von T2) 14. 3. 80
T2-2 Düsseldorf Hafen III Getreidesilo 14. 3. 80
T1-2 Neunkirchen Vluyn Kohlehalden 13. 4. 80


Photoserie "Das Szenische Opfer" (nur CD-Fassung)

Dietrich Kuhlbrodt anläßlich der Aufführung bei den Berliner Filmfestspielen 1981:


Das Szenische Opfer: Wybornys bester Film. Der Eindruck drängt sich aspontan auf, ohne daß man in der Lage ist, dies auf Anhieb genauer zu begründen als mit dem Rezeptionsvergnügen, das der Film bereitet. Der Applaus gilt einer artistischen Leistung und der besonderen Erfahrung des geübten Künstlers, den Pralltriller und dergleichen Fingerfertigkeiten nicht nur Anstrengung kosten. Wyborny, Vorhut des experimentellen Films, riskierte mit dem SZENISCHEN OPFER einen Blick aufs Publikum, das sich in seine Filme inzwischen eingesehen hat. Auf dem Forum in Berlin lief 1980 UNERREICHBAR HEIMATLOS und 6 KLEINE STÜCKE AUF FILM. DAS SZENISCHE OPFER ist die Summe der letzten Filme, eine Erfahrung, die vergleichsweise locker ist. Wyborny teilt diese Einschätzung erfreulicherweise.

Sein neuer Film ist ein Potpourri: 47 Stücke, ein Prolog und ein Einschub. Die Nummern sind kurzweilig organisiert. Für Abwechslung und Überraschung ist gesorgt. Vorausgesetzt, man läßt sich auf den Rhythmus der Stücke ein. Der Witz dabei ist, daß der Zuschauer ausprobieren kann, ob er die privaten Erfahrungen beim Hören von Musik in die Rezeption der Wyborny-Filme einbringen kann. Wem es einmal gelungen ist, sich von den eingeübten Zwängen des inhaltlichen Verstehen-Müssens (des narrativen Kinos) zu befreien, hat sich eine neue Quelle des Lustgewinns verschafft. Wyborny ist Theorie-Experte für beides: an der Kunsthochschule Hamburg lehrte er die "Topologie des narrativen Kinos"; im Manuskript liegt der erste Teil seiner Rhythmustheorie vor, die den Anspruch erhebt, gleichermaßen akustisch wie kinetisch zu gelten: Musik und Film einheitlich auf die Grundlage der Perkussivität zu stellen.

DAS SZENISCHE OPFER ist, wie gesagt, gottlob ohne theoretische Vorkenntnisse - gunußvoll - erfahrbar. Ich hab mir bislang auch nicht die Mühe gemacht, die Kompositionen meiner Lieblings-Musikstücke durchzuanalysieren und auf ihre theoretsiche Absicherung zu prüfen. - Umso bedeutungsvoller scheint es mir, daß Wybornys neuer Film der die Ausgesaltung eines seiner Formalismen ist, vom Mühsamen eines Forschungsprogramms keine Spuren zu Tage treten läßt. Grund ist vielleicht der abrupte Wechsel von Spontaneität und Bürokratismus, mit dem Wyborny seinen Film organisiert hat. Die Rezeption hält sich an das Spontane, das Bürokratische bietet sich als Studienobjekt an.

Improvisiert hat Wyborny am Klavier: Musikstücke, die ihm Spaß machten, die aber - wie er behauptet - als solche künstlerisch keinen Bestand haben. Diese akustischen Nummern, auf Band aufgenommen, hat Wyborny sodann in eine Partitur übersetzt und diese zur rhythmischen Basis der Organistion des Bildmaterials gemacht. - Schon recht: der Einwand, andere könnten gleich die Börsenkurse nehmen, ist berechtigt. Er stammt von Wyborny selbst. Zu fragen ist, ob es dann aber eine Erfahrung der Improvisation und des Spontanen gab, die in der Rezeption durchschlägt.

Bürokratisch nennt Wyborny das Herstellen der Musik-Partitur udn das Festlegen der Bild-Partitur. Einstimmige Stücke, zweistimmige Stücke, Wiederholungen, Umkehrungen der Reiehenfolge; in der Kinosprache: Doppelbelichtung, Einzelbild- / Mehrfachbildschaltung der Kamera. Der Bildzähler ist zu programmieren. Ein Unikat, seine Aufnahmemaschine.

Und wieder ein Freiraum für die spontane Entscheidung: erst am Ort der Handlung wählt Wyborny die Bilder aus. Übrigens in der Regel welche ohne Handlung. Industrieaufnahmen vorzugsweise, denn dann läuft ihm nichts Narratives ins System und der Zuschauer /-hörer kommt nicht aus der Perkussivität heraus. Gegenstand der Aufnahmen, Helligkeit, die Reihenfolge - das sind die elastsichen Sachen, Glücksmomente, die der Preis höchster Konzentration sind: 200 Bildwechsel für ein Stück.

Dem accellerando und ritardando der Stücke, den Intervallen der Bilder (ihrem zeitlichen und örtlichen Abstand), den Emotionen, die auszulösen sie erstaunlicherweise kräftig im Stande sind, - ihnen wird der literarische Teil des Filmdrehbuchs geopfert, der wissenschaftlich das Szenario genannt wird. Mit dem SZENISCHEN OPFER knüpft Wyborny - wie mit seinem Gesamtwerk - an die Vor-Griffith-Zeit der Filmgeschichte an, nämlich bevor der Film auf der literarisch-szenarischen Schiene abfuhr. "Griffith war der erste Verbrecher, dem wir den ganzen Mist zu verdanken haben" (Wyborny). Wyborny machte daher sein eigenes THE BIRTH OF A NATION (1972/ 73). Im Februar 1980 zeigte das METROPOLIS Hamburg im Rahmen einer Grifith- und einer Wyborny-Retrospektive beide Geburten einer Nation. Wyborny macht seiner eigene Filmgeschichte. Den Vorteil hat der Zuschauer, der im Kino eigene Erfahrungen machen will und seine (eigene) Lebensgeschichte komplettieren möchte.

Wer solchermaßen die eigene Manie (die eigenen Formalismen) betrachtet, den heißt Giorgio Manganelli einen Ästheten (Roman 83 in Pillenform, Wagenbach). DAS SZENISCHE OPFER verschreibt 47 Pillen einer rhythmischen Filmästhetik. Die Wirkung setzt grade erst ein.


Tagebuchnotiz

zu "Das Szenische Opfer"

25/4/88
Gestern zeigte ich in Dortmund nach dem New York Film ("Ohne Titel"), der wegen seiner ausgestellten Virtuosität auf den gewohnt billigen Beifall stieß, noch einmal DAS SZENISCHE OPFER. In der anschließenden Diskussion recht interessant wurde die Frage: WO IST DENN IN DIESEM FILM DER STANDPUNKT? Sie war mit deutlich feindlichem Unterton gestellt, nicht ganz unverständlich bei der strukturellen Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet - eine kämpferische Stellungnahme wäre da willkommen, zumindest als Geste gesellschaftlichen Mitgefühls. Von dem ist in dem Film tatsächlich erschreckend wenig zu spüren.
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Und genau das war eine Frage des Standpunkts.

Mein Standpunkt in diesem Film war, so banal das klingt, neben der Kamera. Von diesem Standpunkt aus versuchte ich, den vor mir liegenden Ort so gut es mir möglich war zu erkennen und abzubilden. Und abbilden hieß, den Raum, in dem ich mich befand, in aufeinanderfolgende Bilder zu verwandeln. Auch das klingt banal, ist bei näherem Nachdenken aber außerordentlich heikel, möglicherweise sogar unsinnig. Doch davon will ich jetzt nicht reden. Immerhin wird vielleicht klar, daß mein Standpunkt nicht allzu sicher war.

Man kann solche Unsicherheit leicht in eine gewisse Sicherheit verwandeln, indem man Dokumente sammelt, Dokumente von einer sich ändernden Welt, von Industriearchitektur, von Schuttwüsten, von dem, was Menschen angestellt haben, weil sie Menschen sind. Das tue ich natürlich auch, in diesem Film und in einigen anderen. Trotzdem aber bin ich mit der Sicherheit des Sammlers nicht zufrieden, nicht mit der Sicherheit des Statistischen Landesamts.

Und das ist wiederum eine Frage des Standpunkts:

man erkämpft sich Platz ausgerechnet für Bereiche der Unsicherheit. Man möchte irgendwo stehen dürfen, obwohl man unsicher ist. Dazu ist Ruhe nötig, und es gibt keine Rechtfertigung außer im fertigen Produkt. Kein Komplott mit irgendwelchen Interessensgruppen, keine Drehgenehmigung außer der Staatsbürgerschaft. Das Wahrnehmen demokratischer Rechte, sich Gedanken zu machen, democratic man. Das ist der Standpunkt. Gleichgültig ob das jemandem gefällt oder nicht, und auch nicht als Verpflichtung, nur als, möglicherweise vorübergehende, weil zu aufwendige und unfinanzierbare Möglichkeit. Wenn man keine Lust mehr hat, nutzt sie jemand anderes für ein paar Jahre. Wie Brodsky sagt: Die Welt wird nicht mit einem Knall enden, oder einem Gewimmer, sondern mit der Stimme eines Mannes, der spricht, ein Pause macht, und wieder spricht, der Stimme des Dichters. Und so lange es Elektrizität gibt, wird es so etwas auch für Bilder geben.

Interessant noch die Idee des Stativs. Mit dem Stativ gibt ein Filmmacher etwas von seinem Standpunkt ab, er überläßt einen Teil seiner Urteilsfähigkeit einer externen Objektivität. Das Kamerastativ ähnelt übrigens den Stativen der Landvermesser. Oft wurde angenommen, wenn ich drehte, daß ich das Land vermessen würde. Deshalb gab es auch erstaunlich wenig Fragen. Und wenn: Was messen Sie denn da? Überraschung beim Filmdrehen - Unglauben, wo ist das Team? Im Stativ liegt ein sehr gefährlicher Anfang, es ist Voraussetzung der Arbeitsteilung im Film. Bei den späteren Filmen machte ich Handkamera, das Atmen des Filmmachers verstärkt den eigenen Standpunkt, wichtig, man wird von zu vielen Seiten gleichzeitig zerquetscht. Es ist wichtig, sich Raum zum Atmen zu erhalten.

Beim Szenischen Opfer benutzte ich noch ein Stativ. Ich hatte einen Gartenstuhl dabei, setzte mich neben das Stativ und rauchte. Versuchte einen bestimmten Gleichmut zu entwickeln. Später kaufte ich einen Anglerhocker. Auf dem saß ich nicht mehr so lange. Wahrscheinlich mißfiel mir die Analogie zum Angeln. Mit Angeln hatte das nichts zu tun, was ich da machte. Ich wartete nicht, daß irgendwas Großartiges passierte, das ich dann einfangen konnte. All das gab es, als noch das Stativ neben mir stand. Die Kamera hatte den Standpunkt, ich saß daneben. Ein objektives Instrument und ein subjektiver Sitzer. Im übrigen konnte ich nicht lange genug stehen, um ein Stück zu machen, sie waren so kompliziert strukturiert, daß ich an einem Ort einen ganzen Tag verbrachte.

Dann hörte ich auf zu rauchen und konnte nun länger stehen, verbesserte meine Standfähigkeit, und kam zur Handkamera, zum direkteren Erleben des Abbildungsprozesses, gleichzeitig eine athletische Tat. Manchmal, wenn der Wind zu stark ist, zittert das Bild sehr stark, manchmal auch bei Erschöpfung.

Bei Drehgenehmigungen muß man immer seinen Standpunkt erklären. Und zwar in Bezug auf den, der einem die Genehmigung gibt. Wenn man denen sagt, daß man nur einen Standpunkt für sich haben möchte, und gar nicht daran interessiert ist, ihn an den Koordinaten irgendeines herumsitzenden Fabrikbesitzers oder Staatsfunktionärs zu messen, halten sie einen für gemeingefährlich, zumindest für abartig und geben einem die Genehmigung nicht. Zurecht!


Link zu Aufsatz über Bildrhythmen
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