Kapitel 1
O Singe den Zorn des Peleiden Philipp ... Ha! Guter Anfang für einen Roman. Könnte jedenfalls schlechter sein.
Tausende von Romanen fangen schlechter an. Ach ich übertreibe: Hunderttausende! Ja: Singe den Zorn des Peleiden Philipp, sehr gut - gleich klingts vertraut. Kaum hat man es geschrieben, wird es zu einem Teil von einem, als hätte man es schon vor Jahren geschrieben. Ein toller Anfang für einen Roman. Mit so einem Anfang könnte es sogar ein Renner werden. Ja ein Roman ... Ich schreibe einen Roman. Es gibt schlechtere Arten, jemandem die Zeit zu stehlen. Einen ganzen Sommer lang. Ja singe den Zorn dieses Sommers mit Philipp! Ha, war dieser Sommer mit Philipp wirklich ein Sommer im Zorn? Philipp - schicker Name, ist griechisch, Philipp der Freund der Pferde, Philipp der Pferdeliebhaber, Philipp der Freund der Griechen. Philipp der Mann der wie ein Pferd durch die Gegend läuft, Philipp hier, Philipp da, wohin man guckt: Philipp ist schon da gewesen. Gar nicht mal schlecht dieser Philipp und der Zorn seines Sommers! Ja ein Roman über den Sommer. Über den Sommer der alle Sommer enden ließ, ein Roman über die Mutter aller Sommer. Es war ein prachtvoller Sommer. Natürlich braucht so ein Sommer, braucht so ein Roman einen Helden. Sonst kann man ja nur über sich selbst schreiben, da geht einem bald die Luft aus. Carl? Ja wie wärs mit Carl! Carl, Carl, Carl, Carl - klingt gut so ein Carl. Carl sagt dies, Carl sagt das, Carl geht schlafen, Carl wacht auf, Carl hat Hunger, Carl wird gefüttert, Carl sagt 'Danke', geht alles famos mit Carl. Ja - Singe den Zorn dieses Sommers mit Carl. Auch nicht schlecht. Auch nicht schlecht als Anfang für einen Roman. Oder wie wärs mit: O singe den Zorn des Peleiden Carl. Das klingt leider weniger gut. Aber wie wärs mir Richard? Richard hier, Richard da, wohin man guckt, wohin man geht, nur Richard. Er scheint ja ganz verliebt in sich zu sein, kann gar nicht aufhören, überall zu sein und dort in den Spiegel zu schauen: Richard sagt dies, Richard hört das, Richard macht pipi, Richard nörgelt an was herum, Richard schläft ein, ganz famos dieser Richard, etwas komplizierter leider als so ein Carl. Ja - Singe den Zorn des Peleiden Richard. Wiederum recht passabel. Ich habe natürlich alle copyrights. Copyright! - ja das kenne ich, famoses Wort, kommt aus dem Englischen: Das Recht, etwas zu kopieren! Ich darf diesen Satz kopieren, so oft ich will: O singe den Zorn des Peleiden Philipp. Ja das klingt wirklich besser. Gleich der erst Wurf saß. Wie ja so oft. Ja es geht immer am besten mit dem ersten Entwurf. Daran erkennt man die Genialität dessen was man tut. Jedenfalls wenn man ein Genie ist. Verzeihung: ein Scherz. Peleide - was ist überhaupt ein Peleide? Nie davon gehört. Klingt auch irgendwie griechisch. Hat vielleicht auch mit Pferden zu tun. Erinnert aber mehr noch an Pellkartoffel. Ja Pellkartoffeln kenn ich, mit Pellkartoffeln kenn ich mich aus. Besser jedenfalls als mit diesem peleide. O singe den Zorn der Pellkartoffel mit Philipp. Auch gar nicht schlecht für einen Romananfang, ein bißchen schwerfälliger im Rhythmus, dafür aber mit deutlich mehr Kraft. Könnte noch eher ein Renner werden, das Publikum liebt männliche Kraft. Ja, so eine Pellkartoffel kann sehr zornig sein. Ihr Zorn äußert sich durch Hitze. Sie wird sehr heiß, wenn sie zornig ist, ihr Zorn kann einen dann verbrennen. Ihr Zorn verbrennt einem die Haut, wenn man sie pellen will, sie ist schließlich eine Pellkartoffel, aber sie kann einem auch den Oberarm verbrennen. Ein Sommer mit einer Pellkartoffel. Ich kann mir Schöneres vorstellen. Zum Beispiel einen Sommer mit Carl. Oder einen Sommer mit Schwester Monika. Na, Spaß beiseite, ich habe alle Copyrights. Habe das Recht, alles in diesem Roman so oft zu kopieren wie ich nur möchte. Wenn ich will kann ich einen Roman schreiben, in dem nur dieser erste Satz immer wieder kopiert wird. Ich könnte mir diese Freiheit nehmen. Ja Singe den Zorn der Pellkartoffel mit Philipp. In endloser Wiederholung. 600 Seiten lang. Das wär schon was. Aber dann kommt der Ruhm. Ruhm kann, wie man sagt, erhebliche Schattenseiten aufweisen. Ruhm ist nicht immer lustig. Ruhm kann sehr anstrengend sein. Da wird man berühmt und kann nicht mehr pipi und kann nicht mehr kaka machen sondern kennt nur noch die blöden Pellkartoffeln. Nicht nur ein Sommer, sondern gleich ein Leben lang mit so einer Pellkartoffel, nur weil man nicht vorsichtig genug war und plötzlich berühmt wird. Da fällt mir ein, daß einem so eine Pellkartoffel ja auch den Mund verbrennen kann, das ist ebensowenig lustig. Der Zorn von so einer wird leicht unterschätzt. Also ein anderer Name - Achilles? Auch nicht schlecht. Klingt kraftvoll und in sich ruhend, ja, auf geheimnisvolle Art klingt er wie in sich ruhend. Oh singe den Zorn des Achilles mit Philipp! Ja auch ein Achilles kann sehr zornig sein! Und zumindest ebenso gefährlich wie eine Pellkartoffel. Philipp der Pellkartoffelfreund. Ja Philipp mit seiner Pellkartoffel; auf einmal heißt es Pellkartoffel hier, Pellkartoffel da, Pellkartoffel sagt dies, Pellkartoffel sagt das, das ganze Leben von Philipp dreht sich plötzlich um diese Pellkartoffel, man kann richtig eifersüchtig sein. Sucht wohl einen Verbündeten gegen den Zorn von diesem Achilles. Ja Achilles hier, Achilles da, Achilles sagt dies, Achilles sagt das, Achilles macht pipi, Achilles macht kaka, klingt nicht schlecht, klingt gefährlich, spricht das Publikum fraglos an, hat irgendwie eine gefährliche, fast schon eine klassische Qualität. Auch da muß man freilich vorsichtig sein, grade bei Klassikern. Ja auch da kommt es auf den ersten Satz an. Und auf den richtigen Namen. Bei so einem ersten Satz kann viel schiefgehen. Am liebsten würde man ihn weglassen. Aber ohne ersten Satz gibt es keinen Roman! Wer hat das gesagt? Michelangelo? Ach, ich weiß nicht. Alle sprechen von Michelangelo. Aber einen Namen braucht man, man kann ja schließlich nicht immer "Ich" sagen. Ich sage dies, ich sage das, ich mache pipi, ich mache kaka, ich ärgere Schwester Monika. Langweilig. Mir wäre lieber wenn Schwester Monika zur Abwechslung mal mich ärgern würde, aber ich bin ihr wohl nicht wichtig genug. Bei einem Achilles würde sie sich bestimmt anders verhalten, schon weil der vielleicht mit seiner Pellkartoffel nach ihr werfen würde. Ein klassischer Held: Einer der mit einer Pellkartoffel wirft. Hat das Recht "Ich" zu sagen. Ich trau mich das nicht, ich habe Angst vor Schwester Monika. Mit so einer Angst kann man keinen Roman schreiben. Gottseidank habe ich ihn schon geschrieben. Zumindest habe ich das copyright. Ich kann damit machen was ich will. Aber ein Name muß her. Carl? Richard? Achilles? Michelangelo? O singe den Zorn des Philipp auf Michelangelo! Geht auch. Vieles geht. Jetzt ist dieser Philipp in dem Satz nach links gewandert, offenbar ein ganz Schlauer. Denn der Zorn des Linken richtete sich immer nach rechts. Armer Michelangelo, er kriegt jetzt alles ab, er sitzt am beschissenen Ende. Dafür ist Philipp jetzt fein raus. Sogar Achilles ist verschwunden. Wahrscheinlich ist er jetzt bei Schwester Monika, da ist sein Zorn verraucht. Schwester Monika hat ihm nämlich, ha, ha, eine Pille gegeben. Jetzt ist Achilles ganz klein. Jetzt braucht sogar Philipp keine Angst mehr vor diesem Achilles zu haben. Jetzt schreibt Philipp diesen Roman. Ja was schreibt er denn? Ha, Donnerwetter, er hat ja schon Hunderte von Seiten geschrieben! Das ging ja ruck zuck. Flutsch, man schaltetet den Computer an, schon hat man hundert Seiten geschrieben. Donnerwetter, dieser Philipp hats drauf, der Freund der Pferde und der Pellkartoffeln. Ja so Pferde können ein enormes Tempo draufhaben; wenn sie mit solchem Tempo auf einen zukommen, sie brauchen nicht einmal durchgebrannt zu sein, schleicht man sich besser in die Büsche. Ach Unsinn, Unsinn, das hat ja gar nicht der Philip geschrieben. Philipp ist nur der Name des Helden. Wer aber hat es sonst getan? Komisches Gefühl: Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich müßte Schwester Monika fragen. Aber die nimmt mich bei sowas nicht ernst und ich habe Angst, daß ich dann gleich wieder eine Pille kriege. Schon nett von ihr, daß ich überhaupt an diesem Roman herumschreiben darf. Aber wenn es nicht Philip war, wer war es sonst? Ich habe jedenfalls alle Copyrights. Ich kann damit machen was ich will. Ich kann es so oft kopieren wie ich will. Aber leider habe ich diesen Roman natürlich nicht geschrieben. Dazu fehlt mir dann doch einiges. Zum Beispiel Erfahrung. Man braucht eine gewisse Menge Erfahrung, um einen Roman zu schreiben. Aber was ist das eigentlich: eine "Menge Erfahrung"? Ich glaube ich habe das Copyright daran nur geerbt. Von meinem Vater? Von einem Onkel? Von einer Tante? Von einem Sohn? Komisch, ich habe keine Ahnung. Er könnte genausogut von meiner Großmutter oder von meinen Enkeln sein. Besitze ich überhaupt Enkel? Ich weiß es nicht. Aber eine Großmutter hab ich gehabt. Ich glaube jeder hat eine Großmutter gehabt, die gute Großmutter, die liebe Großmutter, sehr sonderbar, daß jeder so eine liebe dicke Großmutter hat, obwohl sie doch alle so lieb sind. Und das Liebe, so heißt es doch immer, ist selten. Und obwohl es so viele Kinder gibt, hat nicht jeder gleich Enkel - Sehr rätselhaft, sehr sonderbar. Wenn man darüber nachdenkt, kann man verrückt werden, schon weil in genetischer Hinsicht die Enkel gleich weit von einem entfernt sind wie so eine Großmutter. Ja in genetischer Hinsicht, so sagt man glaub ich. Es muß mit Zeit zu tun haben, mit ihrem unaufhaltsamen Ablauf oder ihrem wohl schwer nur greifbaren Vergehen. Im Grunde versteh ich das mit der Zeit einfach nicht. Kaum hat man zum Beispiel begriffen, daß August ist, und es war ein schöner August, kaum hat man sich damit eingerichtet, und August hier, August da, was für ein schöner August, der schönste den es seit Menschengedenken gegeben hat, an keinem Tag Eis auf der Elbe - schon ist September. Und dann kommt bald der November, kaum daß man sich mit dem September einigermaßen eingerichtet hat. Ja August September November so lief das in meinem Falle wohl ab - und trotzdem ist man immer am selben Ort. Offenbar können mehrere solcher Monate an einem Ort bestehen, im Moment aber immer nur, wie ich meine, einer, aus irgendeinem Grund kann man sie nicht festhalten. Kommt der eine, muß der andere gehen. Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn sie dieses Prachtstück von einem Monat, diesen August, hier ebenso eingesperrt hätten wie mich. In einer Doppelzelle. Aber aus Kostengründen ging das wohl nicht. Oder ein anderes Beispiel: es könnte zum Beispiel drei Uhr sein. Ich habe diesen Roman zum Beispiel um drei Uhr angefangen, nach dem Kaffee, na, ja, zumindest habe ich da angefangen, den ersten Satz zu schreiben. Zum Kaffee kriegt man hier natürlich nur Tee, mir ist's einerlei - Soll ich mich darüber aufregen? Aber jetzt ist es plötzlich vier, und ich habe diesen Satz immer noch nicht beendet. Sehr rätselhaft. Wie kann etwas zugleich drei und vier sein? Wenn ich das Schwester Monika frage, gibt sie mir gleich eine Pille. Drei und vier sind natürlich sieben. Aber das hilft einem in diesem Falle auch nicht weiter. Dafür habe ich alle copyrights. Und irgendwann wird es auch sieben werden, darin liegt, wie Schwester Monika immer sagt, das Wesen der Zeit. Licht aus! Es wird immer wieder mal sieben. Natürlich gibt es auch Uhren, viele halten Uhren beim Umgang mit der Zeit ja für eine Hilfe, aber für mich wird es dadurch nur noch verrückter. Mit so einer Uhr kann man genau sehen was die Zeit gerade ist. Man guckt auf die Uhr und kann sagen: Jetzt ist es dreizehn Uhr vier Minuten und drei Sekunden. Natürlich habe ich keine Uhr, es ist nur ein Beispiel. Und kaum hat man es gesagt, schon ist es dreizehn Uhr vier Minuten und vier Sekunden, und dann schon und fünf Sekunden und sechs Sekunden, man sieht es mit bloßem Auge, man kommt gar nicht mit dem Sprechen nach, man braucht nichtmal ein Fernrohr dazu, es hat nichts mit Astronomie zu tun, nichts mit den Grundbedingungen des Universums, man kann es selbst mit bloßem Auge nicht übersehen: sie geht weiter und weiter, man kann so eine Uhr nicht anhalten, es ist als ob die Pferde mit so einer Uhr durchgegangen wären, ein Fall vielleicht für unseren Freund Philipp, zu hoch aber für mich, mit so einer Uhr rast die Zeit geradezu, unmöglich sie anzuhalten. Einmal wollte ich sie wenigstens einfangen und sie irgendwo einsperren, ich hab sie unter mein Kissen gelegt, damit die Zeit nur dort unter dem Kissen so rast, schlimm genug, aber Schwester Monika hat sie da gefunden. Das hat mich ganz traurig gemacht, aber Schwester Monika findet alles, selbst die verloren gegangene Zeit, doch einmal wurde ich dann doch geradezu genial, einmal habe ich sie nämlich einfach geschluckt, da war es dann zu Ende mit der Zeit, ich hab sie einfach geschluckt! Ein Tier frißt das andere, survival of the fittest, wie es so schön bei Darwin heißt, mit Hilfe Darwins habe ich die Zeit angehalten. Oh süße Stunde dieses Triumphs. Der Mensch ist ein Tier! Aber das gefiel Schwester Monika gar nicht. Sie wird nach Stunden bezahlt. Wenn die Zeit angehalten ist, kriegt sie nichts und irgendwann hat sie die Uhr aus meiner pipi und meiner kaka, das ist ihr Job, wieder hervorgekramt, damit sie wieder bezahlt wird. Und da hab ich es im Zorn mit einem Hammer versucht, mit Gottes Hammer, mit einem Hammer hab ich versucht, die Zeit auf dieser Uhr anzuhalten, und da ging sie kaputt, aber statt eines neuen Triumphs hab ich da einen Schrecken bekommen, denn plötzlich konnte man die Zeit gar nicht mehr sehen, man fühlte sich wie blind, die Flüssigkeitskristalle zeigten nichts mehr an, die Zeit war verschwunden. Weder einen prachtvollen August noch diesen verschwindenden September zeigte diese Uhr noch an. Die Zeit in ihr war verschwunden, sie war auf noch radikalere Weise verloren gegangen als unter jenem Kissen. Doch bevor ich mich auf die Suche nach ihr machen konnte, hat mir Schwester Monika eine andere Uhr gebracht. Die produzierte wieder diese ruck zuck vergehende Zeit, und da habe ich aufgegeben. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit kann man nicht mehr alle Uhren vernichten, es ist auf eine vielschichtig tiefgründige Weise einfach zu spät. Aber man kann sich im Grunde mit gar nichts anderen beschäftigen, wenn man sie so vergehen sieht. Inzwischen sehe ich das mit der Zeit freilich allmählich etwas gelassener. Auf dem Weg zur Genesung, sagte mir fröhlich Schwester Monika, als sie mir die Uhr zur Belohnung wieder fortnahm und mir statt dessen eine süße Pille gab. O süßer Schlaf des Triumphs ... Und schließlich ist das mit dem Vergehen der Zeit ja ein Kinderspiel gegen so einen Roman. Ach mir ist es einerlei ob ihn mein Papa oder mein Enkel schrieb, ich habe schließlich die copyrights. Geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul würde vielleicht so einer wie Philipp dazu sagen, der Freund der rasenden Pferde. Philipp von Makedonien, der Sohn Alexanders! Wie ja überhaupt ein jeder Sohn dieses Alexander ist, ein jeder dabei, die Welt zu erobern. Vielleicht haben sogar alle daran geschrieben, mein Opa, meine Oma, meine Mama, mein Papa, meine Geschwister, meine Kinder, meine Nichten und Neffen, meine Enkel, alle haben sie vielleicht an diesem Roman geschrieben. Ein Familienroman, was denn sonst, ein Roman über eine Familie. Aber ich meine: Wie kann jemand in Zukunft etwas schreiben, was ich schon jetzt zu lesen vermag. Da sträubt sich doch der gesunde Menschenverstand. Wahrscheinlich macht man es mit Computern, vielleicht können ja diese Computer die Zeit neuerdings rückwärts laufen lassen, zuzutrauen wär's ihnen ja. Da wird man ganz verrückt davon. Ebensogut könnte ihn dann dieser Philipp geschrieben haben, diesen Roman, das wär mir fast lieber. Dann würde der Held eines Romans einen Roman geschrieben haben. Auch das klingt sonderbar: man schaltet den Computer an, schreibt einen ersten Satz: Oh singe den Zorn dieses Sommers mit Philipp, und kaum hat man einen Namen für seinen Helden, flutsch, hat dieser schon einen Roman geschrieben. Respekt Respekt. Das könnte man schon eine Revolution nennen, eine klammheimliche, eine elektronische Revolution gewissermaßen. Respekt allerdings auch vor diesem Philipp, Respekt vor diesem Freund der Pferde, diesem Sohn Alexanders, ich wär nie in der Lage, so schnell einen Roman zu schreiben. Ich tippe mir schon bei dem bißchen, was ich hier zustande bringe, die Finger wund. Und dabei bin ich noch immer beim ersten Satz. Tja, dieser Philipp hat's eben drauf, der hat nicht so viel Angst wie ich. Der braucht keine Pillen, der ist noch ein richtiger Held, ist noch jemand, der "Ich" sagen kann, ohne zu erröten. Ein Hoch schon darum auf diesen Philipp. Na mal gucken, was dieser Philipp wirklich so drauf hat, was er wirklich geschrieben hat - Jesus ist das viel: strengt das an, das durchzublättern - blätter, blätter, blätter - hätte sich ruhig ein bißchen kürzer fassen können, da kriegt man ja Schwielen an seinem Blätterfinger, aber halt, hier, zum Beispiel ein Name, Michelangelo. Ich kann es nicht glauben. Ich bin es doch gewesen, ich, meine ureigne Person, der gerade von Michelangelo gesprochen hat. Ich habe die Copyrights. Habe ich nicht, werter Leser, eben geschrieben: Michelangelo dies, Michelangelo das, Michelangelo macht pipi, Michelangelo macht kaka, alles geht besser mit Michelangelo. Das geht doch nicht, dieser Michelangelo gehört mir. Ich, mein lieber Philipp, habe das copyright: Recht geht vor Schönheit. Ein schöner Mann dieser Philipp, ohne Frage, aber diesen Michelangelo will ich nicht zum Helden dieses Romans. Das wäre mir viel zu kompliziert. Ehre wem Ehre gebührt. Genau wie das mit dem Achilles zu gefährlich wäre. Ich liebe einfache Romane, ich liebe an Romanen ihre Einfachheit, zur Not können es sogar Kriminalromane sein. Zum Beispiel - schicker Name: Raymond Chandler. Ich glaube der konnte noch schreiben. Ein Buch von dem mag man gar nicht aus der Hand legen. Ah, ich verstehe - dieser Michelangelo ist gar kein Held, er ist nur Teil von Philipps Roman. Er gehört nur zu Philipps Welt. Er gehört zur Kunst. Er gehört zur Kunst dieses Philipp. Es geht gar nicht um Michelangelo, es geht um Philipp. Das ist natürlich etwas anderes. Ja die Kunst. Ja Kunst kenne ich. Kunst kommt von Können. Von diesem Satz sollte sich dieser Philipp mal eine Scheibe abschneiden. Ah ich verstehe, verstehe, verstehe: Michelangelo und die Kunst. Ein großes Thema und wohl nicht nur einen Roman wert. Und was ist schon so ein Roman - gerade mal ein Staubkorn im Universum. Ein schönes Bild. Ja den Namen kenn ich: Michelangelo - der Weltenraum der Kunst! Michelangelo: Der Mann, der den Mount Everest erschuf. Das größte Kunstwerk der Welt. Größer geht es nicht. Das größte Kunstwerk aller Zeiten. Zuerst von einem Schweizer bestiegen, glaube ich, der zum Beweis dort ein Schweizer Messer hinterließ. Ich erinnere das noch, ich habs als Kind im Radio gehört, ja die Schweizer kennen sich mit Bergen aus. Sie haben die Alpen. Ein Klacks natürlich gegen den Mount Everest. Die Alpen sind untertunnelt. Sehr praktisch natürlich so ein Tunnel, weil man braucht dann nicht mehr über die Berge zu steigen, aber die Alpen sind schließlich gegen wirkliche Größe nur ein Klacks. Wie ein jeder Künstler ein Klacks ist gegen den Michelangelo. Die Künstler kommen und gehen - Michelangelo wacht! Aber auch ein Michelangelo hat einmal klein angefangen - als kleiner David! Ha, als kleiner David, der im Weltenraum der Kunst pipi und kaka macht. Ha, ha, dieser David. Respekt , Respekt! Ein Engländer - T.S.David. Die Engländer haben Kultur. Sie sind große Teetrinker. Ich habe Respekt vor den Engländern. Aber dann hat ihm der Achilles mit einer zornigen Pellkartoffel an die Wade geworfen, da hat der David aber geschrien: Aaaaah, was ist mit meiner Davids-Wade, was ist mit meiner Davids-Wade, was ist mit meiner Davids-Wade, endlos hat er geschrien und über seine schöne Wade gejammert, sie war ja auch sehr schön, so eine Wade kann sehr schön sein, aber er hat so lange geschrien, und da ist die Pellkartoffel vor Schreck an ihm abgeprallt und diesem Godzilla von einem Goliath direkt an die Birne geknallt, heiß wie sie war vom Zorn des Achilles, und da hat der Goliath vor ihrem Zorn einen Schrecken bekommen und ist zu Schwester Monika gerannt, und da ist er zusammengekracht, bevor sie ihm eine Pille geben konnte, dieser Riese von einem Mann. Auch er ein Opfer von diesem Achilles. Dieser Achilles ist überhaupt sehr gefährlich. Er könnte einen ganzen Sommer in ein Schlachtfeld verwandeln. Aber auch der David hat darüber einen enormen Schrecken bekommen, verliebt wie er war in seine Wade, daß er darüber noch kleiner wurde als er ohnehin schon war und zum Dichter geworden ist. Also solcher brachte er es sogar zum König. Ha, ha, ja, zum kleinen König im kleinen Königreich der Dichter - TS David. Ich glaube all das steht in der Ilias. Aber aus den Trümmern von diesem Goliath hat Michelangelo dann den Mount Everest geschaffen! So geht das in der Kunst, Wer A sagt muß auch B sagen, sonst läuft da nichts. Der Michelangelo hat es noch gekonnt. Aber jetzt wo die Schweizer dort auf dem Gipfel der Kunst ihr Messer hinterlassen haben, hört sich das natürlich anders an. In der Schweiz ist die Kunst schon abgeschafft. In Frankreich spricht man auch schon vom Ende der Kunst. Das ist traurig. Gerade mit den Franzosen hat man noch gerechnet: die letzten Europäer. Die Amerikaner haben schon eine drei mal so große Originalkopie vom Mount Everest in Las Vegas. Ich finde das pietätlos, soll man den Mount Everest doch dort lassen, wo er war. Amerika hatte noch nie ein Gefühl für die Kunst. Den Engländern ist die Kunst auch egal. Stattdessen haben sie Dichter - TS David beispielsweise. Ein großer Teetrinker. Und die Italiener schaffen ihre gesamte Kunst seit einiger Zeit in die Schweizer Tunnel, da ist sie sicherer. Da haben sie natürlich viel zu tun. In Italien wimmelt es schließlich vor Kunst. Manche sagen, die Italiener haben sie sogar erfunden. Ich bin da skeptisch. Na jedenfalls ist auch in Italien die Kunst inzwischen tot. Die Deutschen halten sich wie bei vielem bedeckt, aber die letzten Hirnwindungen so eines Deutschen will ich lieber nicht immer vor Augen haben. Die Deutschen: ein Essen auf Rädern, so sagt man glaube ich. Sie schämen sich wenn sie essen. Sie denken, sie haben es nicht verdient. Kaum kommt so ein Essen an, schon rollt es von ihnen wieder fort, sie haben daher oft Hunger und halten sich in seltsamer Verblendung aus diesem Grunde für große Feinschmecker. Sie wären gern große Esser. Viele sind auch dick. Aber eigentlich braucht jeder von ihnen so eine Schwester wie Schwester Monika. Nur in Hamburg Barmbek glaubt man noch an die Kunst. Dort ist einer ihrer letzten Bastionen. Letzten Sommer war es jedenfalls noch so. Vor allem liebte man dort ein Buch mit dem Titel Finnegans Wake, man nannte nach den Gestalten aus Finnegans Wake sogar Katzen. So hält man die Kunst in Ehren! Was in diesem Barmbek jetzt los ist, weiß ich leider nicht, es entzieht sich meinem - geschwollener Ausdruck, was sonst? - "Kenntnisstand". Blätter, blätter, blätter, was für eine stupide Angelegenheit dieses Blättern ist. Blätter, blätter, da kriegt man ja eine Hornhaut am Blätterfinger. Da überkommen einen ja Zweifel an der Kunst des Romans. Ich glaube dieser Michelangelo hat lieber Gedichte geschrieben, der wußte, nicht nur beim Mount Everest, was er tat. In der Kürze liegt nämlich die Würze. Wie Schwester Monika sagt. Blätter, blätter, blätter - eine anderer Name: Laura. Laura - klingt auch bekannt. Laura - war sie nicht die Geliebte eines Berges? Na dieser Philipp: erst Michelangelo, der einen Berg schuf, den größten Berg der Welt, und nun Laura, die in einen Berg verliebt war. Was für ein Paar! Wenn das mal gut geht. - Bin ich nicht sogar einmal dort oben auf diesem Berg gewesen, in den sie verliebt war? Mit einem Auto? Auf genau diesem Berg? Es herrschte auf diesem Berg eine erstaunliche Kahlheit. Es war dort sehr windig und es ging enorm steil hinauf. Viele, viel Steine ... Oder ist es Carl gewesen, der dort oben war? Oder war es Richard? Richard hier, Richard da, überall dieser Richard, sogar auf diesem windigen Berg. Der Philipp kanns jedenfalls nicht gewesen sein, er hat das ja mit der Laura geschrieben. Mal sehn was er so über sie schreibt: "jetzt riß er ihre Beine auseinander und leckte sie noch mal..." - Huch. Was ist denn das? Gehört das wirklich zu diesem Roman? Wenn das Schwester Monika wüßte. Ja wenn das Schwester Monika wüßte, würde sie mir diesen Roman gleich wegnehmen. Dabei habe ich doch alle copyrights. Vorsicht, Vorsicht! Na ich kann mir schon vorstellen was das für ein Roman ist, wenn so was mit der Laura gemacht wird, die eigentlich in diesen kahlköpfigen Künstlerberg verliebt ist. Da hat der Berg keine Chance ... Aber auch Berge schlagen manchmal zurück. Ich denke da zum Beispiel an Geröll-Lawinen und einstürzende Tunnel. Die Schweizer sollen sich nur in Acht nehmen! Nur gut, daß der Roman schon geschrieben ist, auf so was wär ich nie im Leben gekommen.
Ja, ja, der Nationalcharakter - zB die Deutschen. Die Deutschen sind berühmt dafür, daß sie tollkühn in der Offensive und totale Versager in der Defensive sind. In der Defensive sind sie die größten Feiglinge. Zum Beispiel fallen sie als Touristen über Europa her ohne mit der Wimper zu zucken - wenn aber so ein Tourist nach Deutschland kommt, fangen sie an zu schlottern, schon weil sie Angst haben, daß er irgendwas Schlechtes über sie sagt oder schreibt. Ich wage sogar folgende These: wenn nur ein einziger Tourist sich den Grenzen Deutschlands näherte, würden sich sämtliche Einwohner Deutschlands vor Angst schlotternd aus dem Staub machen. Das war übrigens schon immer so: als der berühmte Tacitus ein paar Bemerkungen über Deutschland machte und verlauten ließ, er wolle das Land zur genaueren Erkundung vielleicht mal bereisen, begann bekanntlich die Völkerwanderung, ein enormes Problem übrigens für die Geschichte: denn wenn so ein Volk aus Angst auswandert, wo soll es hin? Die ersten, die es vor dem Tacitus mit der Angst bekamen, fielen zwar todesmutig, wie es ihre Art ist, über ihre Nachbarn her, aber das waren leider auch nur Deutsche; und wie alle Deutsche totale Versager in der Defensive und so fielen wiederum sie tollkühn über ihre Nachbarn her, die wiederum nur Deutsche waren, und so ging das weiter, bis das gesamte Volk in erregter Bewegung war, zwischen Rhein, und wie es heißt, Don und Weichsel, ausgelöst von ein paar harmlosen Sätzen des Tacitus, die vielleicht gar nicht so gefährlich gemeint waren. Heute würden die Deutschen, wenn sich ihnen irgendein Tourist nähern würde, am liebsten nach Israel auswandern, dem gelobten Land, alle 80 Millionen - aber da die Israelis bekanntlich in der Defensive noch tollkühner sind als es die Deutschen in der Offensive sind, überlegt es sich sogar so ein Durchschnittsdeutscher ein zweites Mal, bevor er so einen Plan ausführt. Aber da bislang noch nie ein Tourist in Deutschland gesichtet wurde, ist das alles mittlerweile nur noch ein theoretisches Problem, das die Geschichte, wie sie es bei vielen solcher Probleme anzustellen pflegt, bereits gelöst hat, ohne daß man es richtig mitbekommt. Die Geschichte, ließe sich in diesem Sinne vielleicht sagen, ist über die Deutschen hinweggeschwappt wie ein Ozean über eine Träne und läßt sie nur noch in stiller Angst schlottern. Statt Touristen kommen nur Geschäftsleute oder auf ähnlich gelangweilte Art auf das Land Neugierige nach Deutschland und solche, die es einmal werden wollen, und alle an den so entstehenden Geschäften Beteiligten samt der auch so auf geheimnisvolle Weise entstandenen Touristenindustrie sinds im Grunde zufrieden.
Oder nehmen sie Dänemark. In Dänemark steht der Baum in Ehren. Eine prachtvolle Sache so ein Baum: Wurzeln, ein Stamm, die Krone, prächtiger geht es kaum. Es gibt kaum etwas Schöneres als einen großen allein so dastehenden Baum. Manchmal laufen einem da die Augen über. Schön denkt man dann: schön, schön, schön! Natürlich nur bei einem Einzelstück. In Gruppen sind Bäume weniger schön. Es ist, als würden sie dann ihre Schönheit der Gruppe übereignen, und diese kann gar nichts Rechtes damit anfangen. Noch schlimmer ist es im Wald. Dort sieht man mitunter - entschuldigen Sie den dummen Kalauer, aber Spaß muß sein - den Baum vor lauter Bäumen nicht. Manchmal geht es in so einem Wald drunter und drüber, wie Kraut und Rüben. In Dänemark schätzt man daher den einzelnen Baum. Denn Dänemark ist ein flaches Land, wo so ein Baum vermutlich den Berg zu ersetzen hat. In Dänemark würde sich so eine Laura nicht in einen Berg verlieben, sondern in einen Baum. Am liebsten - vielleicht sehe ich das aber gegen Ende dieser Ruheperiode zu polemisch - in eine tausendjährige Eiche - Irminsul - leider wurde diese hochberühmte tausendjährige Irminsul bereits von Karl dem Großen gefällt, weil er keine andere Größe neben sich dulden wollte, er soll ja ein Meter zweiundneunzig groß gewesen sein, ein Nichts gegen einen tausendjährigen Baum. Auch die Däninnen haben offenbar ein Problem mit den Deutschen. In Dänemark würde sich so eine Laura also statt in einen Berg oder den kahlen Errichter so eines Berges nur in den Anbauer von so einem Baum verlieben können, einen sogenannten Bauern. Ha, Ha...
Ah, schnell noch mit dem ersten Satz fertigwerden, ich bin ganz stolz darauf, die ersten Ideen sind die besten. Ja: Oh singe den Zorn dieses Sommer mit Philipp! Haha, Pillenzeit!
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