K. Wyborny

7 TAGE EIFERSUCHT


Vorwort zur Kompaktversion für die Jugend


"Kompaktversion für die Jugend" ist diese Ausgabe betitelt und genau was sie verspricht, soll sie auch sein. Für Jugendliche bestimmt, oder solche, die sich so fühlen, und unbedingt einmal wissen wollen, was es mit der sogenannten Künstlerschaft auf sich hat, denn das ist das Thema dieses Romans. Vor allem, meinen wir, soll diese Ausgabe indes der Abschreckung dienen. Und das meiste was hier über Künstlerschaft gesagt wird - und was man vielleicht überhaupt über Künstlerschaft sagen kann (denn so hoch sich die Kunst mitunter über den Gegebenheiten des Lebens zu bewegen vermag, so weit bewegt die Künstlerschaft sich gewöhnlich darunter) - wirkt in der Tat eher erschreckend. Das gilt für eine kompakte Form vermehrt - doch was den einen abschreckt, lockt den anderen, wie es so schön heißt, und umgekehrt. Wir wollen das nicht bewerten. Indes scheint klar, daß eine kompaktere Form die wesentlicheren Entwicklungen klarer wahrnehmbar macht, schon das mag Grund genug sein, sich einer solchen zu nähern. Wie aber gelangt man zu Kompaktheit in einer Welt, worin man sich nur zu leicht in einem Wust allzu spezieller Details verliert? Da befällt einen leicht Ratlosigkeit.

Glücklicherweise finden wir beim Autor selbst, in seinem unbeschwerten Hang zum Theoretisieren, eine Reihe von Hinweisen, mit Hilfe derer sich Kürzungs-Verfahren entwickeln ließen, die mit dem Geist seines Werkes von Grund auf vereinbar sind. In einer kaum gelesenen Passage der Elementaren Schnitt-Theorie, dem sechsten Teil der Comédie Artistique, heißt es zum Beispiel:

Ganz ähnlich - ich hoffe ich stoße Sie jetzt nicht unnötig ab - werden wir später bei der Betrachtung der Filmform als Ganzer in leicht abgewandelter Form den Streumatrix-Formalismus der Quanten-Feldtheorie benutzen und einen wahrgenommenen Film als eine Art Streuprozeß begreifen, bei dem ein Anzahl von Darstellern in die Filmform eintritt, in ihr interagiert, sie dabei gleichzeitig aufbaut und modifiziert, um sie dann schließlich irgendwie wieder verändert zu verlassen. Wir werden diesen Formalismus dabei natürlich nicht wegen seiner relativistischen Invarianz benutzen (die allein ihn in der Feldtheorie von Belang werden läßt), sondern weil er entwickelt wurde um etwas mathematisch sehr Kompliziertes wie Vielteilchenprozesse, deren Gesetzmäßigkeiten zum großen Teil unbekannt sind, auf die einfachste und kompakteste Weise darzustellen. Diese kompakte Darstellung, die in den dreißiger und vierziger Jahren entwickelt wurde, kommt uns jetzt zufällig bei der Beschreibung der Filmform entgegen, weil wir es auch in ihr mit in der Regel zahlreichen Darstellern und im Grunde mit, wenn nicht unbeschreibbaren, so doch zumindest nicht vollständig beschreibbaren Interaktionen zu tun haben, die man trotzdem irgendwie fassen muß, um Rückschnitte etwa oder auch bloß die offenen Schnitte einigermaßen vollständig zu behandeln.

Elementare Schnitt-Theorie III, F

So kryptisch das klingt - wir verstehen weder etwas vom Film und den angesprochenen Rückschnitten noch von der Quanten-Feldtheorie - deutet sich darin doch an, daß man einen Film als Streuprozeß zwischen Personen begreifen kann, die irgendwann in seinem Raum-Zeit-Gefüge erscheinen, in diesem interagieren, um dann wieder daraus zu entschwinden. Insofern dienen die Einstellungen eines Films a) dazu, die Reihenfolge und den Zeitpunkt von Erscheinen bzw. Verschwinden dieser Personen zu bestimmen und b) wird in manchen davon dargestellt, wie sich die betreffenden Personen von ihrem Eingangszustand in einen Ausgangszustand verwandeln, was sich, besonders bei den Helden eines Films, etliche Male wiederholt. Kaum ein Filmheld ist am Ende eines Films derjenige, der er anfangs gewesen ist, und in dieser Transformation, man muß es sagen, besteht die eigentliche Botschaft so eines Films. Ein Held reift nämlich, und mit ihm reift im Idealfall der Zuschauer.


Das läßt diesen Prozeß in der Tat dem einer Streuung von Elementarteilchen in einem Experiment ähneln: auch dabei werden mehrere Teilchen aufeinander losgelassen, was zu einer Interaktion führt; anschließend wird gemessen, in was sich die einlaufenden Teilchen beim Auslaufen verändert haben. Tatsächlich ließen wir uns von berufener Seite sagen, daß man in der Welt der Physik heutzutage schon hochzufrieden ist, wenn gelingt, die Parameter so eines Endzustand bei einem gegebenen Anfangszustand vorherzusagen - man betrachtet das betreffende Problem dann bereits als vollkommen gelöst und hält für überflüssig, noch in die Details so einer Interaktion zu gehen. Größere Genauigkeit gäbe es angeblich nicht: denn da die Natur entgegen der klassischen (natura non facit saltus) Ansicht ohnehin Sprünge mache, werde sich jedwedes kontinuierliche Entwicklungsmodell bei genauerer Untersuchung notwendig ebenfalls in (gewöhnlich, aber nicht unbedingt, kleinere) Sprünge zerlegen. Da ist man mit einem einzigen genau erfaßten großen Sprung nach Ansicht der Physiker weit besser bedient.

So einleuchtend das für den Film klingt, so brisant ist die Anwendung auf den Roman. Auch ein Roman stellt gewöhnlich einen solchen Streuprozeß dar, bei dem mehrere in ihn einlaufende Charaktere miteinander interagieren, um ihn in veränderter Form zu verlassen. Wer eine Kompakt-Version davon herstellen will, ist gut beraten, erst den einlaufenden Teil darzustellen und dann den auslaufenden Teil. Erwischt man auch noch den richtigsten Mittelteil, läßt sich einer kompakten Version fraglos schnell nahekommen. Und auf feinsinnige Weise meinen wir, daß das für die Kapitel so eines Romans ebenfalls eine gewisse, vielleicht sogar größere, Gültigkeit hat. Hat der Autor seine Kapitel bewußt gesetzt, wird er sie ebenfalls von einem relativ stabilen Anfangszustand in einen relativ stabilen Endzustand sich entwickeln lassen - der Mittelteil nimmt dabei den Charakter einer Durchführung an. Und diese, das ist der entscheidende Gedanke, kann man sich bei einer belletristischen Aufbereitung für die Jugend schenken. Denn die Jugend ist weniger an kompliziert ineinander verschachtelten Entwicklungen als vielmehr an Fakten interessiert, und vor allem an begreifbaren Zielen. In Joseph Conrads bekanntem Resümee der Romanform: "Er wurde geboren, er litt, er starb..." entspricht das Leiden zweifellos diesem durchführenden Mittelteil, den als Lebensziel zu begreifen nicht nur der Jugend schwerfällt. Läßt man ihn weg, bleiben immerhin die Mysterien von Anfang und Ende, die wirklichen Fragen, wie es oft heißt, des Lebens: Geburt und Tod. Oder auf der Ebene des Alltäglichen (und einige der kaptitelartigen Sequenzen dieses Romans orientieren sich an der Tagebuchform): Aufstehen und Schlafengehen - die Momente also, in denen man den eigenen Körper auf unmißverständlich individuelle Art erfährt, in seiner ganzen unwissenden Tragik, wie manche sagen, und von Jugend auf - zum einen aufgeladen von den Dämonen der Nacht, andererseits geblendet von den Aktivitäten eines jeglichen Tages. Der Bereich des Dazwischen, das sogenannte Leiden des Individuums, wird, nicht nur in den Augen der Jugend, die davon gewöhnlich lieber erst mal nichts wissen will, zunehmend ohnehin zu einer Bagatelle, bei der unbeirrbar zunehmenden Unzahl der Menschen und ihrer immer monochromer werdenden Aktivitäten zur sprichwörtlichen Träne im Ozean.

Und so haben wir uns entschlossen - ein Autor mit derart rabiaten Vorstellungen vom Filmschnitt kann sich kaum darüber beschweren, wenn man ebenso rabiat an seiner eigenen Arbeit herumschnippelt - von jedem Kapitel zunächst einmal nur die Anfangs- und als Ziel die Schlußpassagen auszuwählen. Und nur mitunter noch etwas Drittes, etwas, das, zwischen Anfang und Ende schwebend, für dieses klassische Durchführen steht, für Arbeit, Unterhaltung, Leben und Leiden, worin sich selbst im trüben Tagesgeschäft das spezifisch Individuelle aufhalten könnte. Dies zu finden war bei diesem Roman allerdings oft nicht ganz leicht. Was dem einen sein Individuum ist, ist dem anderen nämlich eine Trivialität.

Aber irgendwas muß man schließlich tun für sein Geld, und so sind wir nach zahlreichen kontroversen Diskussionen einer Anregung von PC Melville gefolgt, der ein ähnliches Problem bei der Bearbeitung von Vereinigt zu lösen hatte, dem Zweiten Teil der Comédie Artistique. In der von ihm so genannten "Ausgabe für Senioren und solche, die es möglichst schnell werden wollen, bevor sie ins Gras beißen" galt es freilich andere Interessen zu befriedigen: einerseits ist Senioren der Anfang schon weit in die Ferne gerückt, andererseits sind sie dem Ende so nah, daß sie sich beidem in der Literatur höchst ungern nur aussetzen. Für sie sind allenfalls gewisse Höhepunkte im so flüchtig gewesenen Mittelteil des entfliehenden Lebens noch von Interesse. Und genau dieser wurde für jene, freilich recht kontrovers wahrgenommene Seniorenausgabe mit zahlreichen prickelnden Fußnoten versehen, die den Senioren Halt und eine seriöse Auswahlmöglichkeit bieten, die über bloßes Blättern hinausging. Denn auch am Blättern verlieren viele im wachsenden Alter oft jegliches Interesse. Ebenso wie PC Melville nur mühsam sich hat überreden lassen, zusätzlich zu den Passagen, die seine aufs Senioreninteresse zugeschnittenen Fußnoten umgeben, auch die Anfangs- und Endphasen der einzelnen Kapitel in seine Kompaktversion zu inkorporieren, wollen wir nun solche Passagen hinzunehmen, bei denen wir unsererseits es als nötig befanden, eine Fußnote zu setzen, wenn also dieser Zwischenteil unserer qualifizierten Ansicht nach tatsächlich eine nicht triviale Extraanstrengung wert schien. So kamen wir verblüffenderweise im Fall von Jugend und Seniorenschaft formal in etwa zum gleichen Ziel, wobei in unserem Falle die jeweiligen Anfänge und Enden überwiegen und im Falle von Vereinigt die, zugegeben ja auch interessanteren, Fußnoten*.

Auf diese Weise haben wir den Roman um mehr als die Hälfte verkürzt, und hoffen daß das unseren in der Mehrheit doch jugendlichen Lesern entgegenkommt.

Gewiß wird es für jedermann die eine oder andere Passagen geben, in denen er sein Interesse weitergehen spürt, zumal sich unsere Gesellschaften geradezu von Tag zu Tag weiter individualisieren, was verschärft noch für die Interessen gilt (die, nach Meinung vieler, mitunter eine gewisse spintisierende Zügellosigkeit angenommen haben, die etwas Verschreckendes hat). Andererseits muß man damit nicht gleich jemand anderem in die Quere kommen, um ihn damit zu belästigen. Jedem das seine, wie man so gern sagt, und am besten dann im Geheimen. Wir wollen das ebenso wenig bewerten, sondern auch diesen in den Augen anderer womöglich ausgefalleneren Interessen (die sich im Detail vergraben wollen, obwohl es da vielleicht gar nichts zu entdecken gibt) großzügig entgegenkommen. Für diesen, wie wir meinen, im Einzelnen nicht ungewöhnlichen Fall ist eine CD-Rom mit dem vollständigen Text beigelegt. Mit Hilfe der Suchroutinen Ihrer Textverarbeitung suchen Sie dann die ersten oder letzten Worte des Sie interessierenden Abschnitts und können dementsprechend die vorherige Passage oder das Folgende, besonders gilt das für die mitunter ausufernden philosophischen oder den Sexus betreffenden Passagen, in aller Privatheit auf dem Bildschirm betrachten oder sie sich sogar ausdrucken. Damit haben wir es hoffentlich jedermann recht gemacht.

Die Herausgeber (für den BdR)