K. Wyborny

DIE DAME IN BLAU

VORWORT DES HERAUSGEBERS


"Bilder einer Ausstellung" heißt dieses Buch im Untertitel, man könnte es, wenn man gutartig ist, wie noch Gott seis gedankt viele, auch als "Bilder einer Zusammenarbeit" bezeichnen. Doch hat sich diese Zusammenarbeit im Lauf ihres Wirkens offenbar so sehr verzerrt, daß "Bilder einer Vergewaltigung" eher angemessen wäre, zumal beträchtliche Passagen gegen den ausdrücklichen Willen eines der Beteiligten entstanden zu sein scheinen.

Nun, wie vieles an so einer Vergewaltigung hat auch diese Zusammenarbeit ursprünglich einmal zwei Seiten gehabt. Täter und Opfer müssen sich schließlich erst einmal am selben Ort befinden, da gibt es ein gewisses, meist freilich kaum eingestehbares Einvernehmen, und in den frühen Phasen so einer Interaktion ist oft nicht ganz klar, wer nun Täter und wer das Opfer ist. In der Regel müssen das dann die Gerichte entscheiden, wobei das schließliche Opfer, wie andere Minoritäten, natürlich auch postfestum eines gewissen Schutzes bedarf. Unbestreitbar wurde PC Melville in diesem Fall jedoch ausdrücklich zu Hilfe gerufen, um das ursprüngliche Manuskript, das offenbar entsetzlich und von Grund auf unattraktiv ausgesehen haben mußte, so daß es niemand auch nur mit der Kneifzange anzurühren wagte, sprachlich ins rechte Licht zu rücken. Eigentlich sollte er es nur aufpolieren. Daß er sich damit nicht begnügte, sondern sich von der sehr sonderbaren Substanz des Stoffes zu eigenen Passagen inspirieren ließ, war nicht vorgesehen, aber man mag es als verzeihliche Sünde begreifen. Sich inspirieren, sich zu geheimen Gedanken verleiten zu lassen, ist schließlich menschlich. Warum soll man derartiges gleich verbieten. Doch daß er diese Passagen dann in den Text einfügte, daß er das ursprüngliche Manuskript nach eigenem Gestus verlängerte oder auch kürzte, um das Ganze dann nach eigenem Geschmack derart zu durchmischen, daß von einem ursprünglichen Autor nach Ansicht mancher gar keine Rede mehr sein kann, geht natürlich in den Augen der meisten etwas weit. In den Augen von jedermann in der Gegenwart, würde ich sagen. Aber der Autor, die Idee des Autors ist, wie viele meinen, andererseits wiederum ohnehin im Verschwinden begriffen. Das gibt dem entstandenen Text eine gewisse Aktualität und daher mögen die Augen der Zukunft anderer Meinung sein. Und leider läßt es sich nicht mehr rückgängig machen. Getan ist getan. Man könnte es höchstens ganz löschen. Jedenfalls ist nicht mehr zu erkennen, was daran ursprünglich, was daran verarbeitet ist, was übertrieben, was überzogen, was extrapoliert oder gar bloß aus Zeitungen zusammengeschmiert ist - manchmal tauchen ja auch ausdrücklich solche Passagen auf - kurzum was daran Dichtung, was daran Wahrheit gewesen sein mochte. Auch die Filmbeilagen, so aufschlußreich sie in anderer Hinsicht sind, geben - auch wenn, wie es gern heißt, ein Bild mehr als Tausend Worte sagen soll - dazu nicht allzu viel her. Anders als in Goethes berühmter Autobiographie gleichen Titels, in der Goethe die menschlichen Grundlagen seiner Existenz vernebelte, wurde hier ein ursprünglich vielleicht einmal sogar klar ästhetisch intentioniertes Werk mit einem wirren Kaleidoskop roher menschlicher Substanz übergossen, dessen Ursprung, außer vielleicht im Phylogenetischen, nicht mehr zu erkennen ist. Das kann natürlich nicht Sinn einer Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine sein. Andererseits hat die von möglicherweise einer Maschine zum Vorschein gebrachte menschliche Substanz auch etwas beklemmend Bedenkenswertes, das Ganze entstand ja nicht in einem leeren Raum. Mag sein, daß PC Melville ein wenig sogar dazu verleitete wurde, da die Menschen selbst sich offenbar nicht trauten, einiges von dem in diesem Buch Angesprochenen in dieser Roheit erscheinen zu lassen, außer in ihren geheimsten Handlungen, für die man freilich gleich ins Gefängnis wandert. So gesehen schuldet auch die Menschheit PC Melville einen gewissen Dank. Vielleicht aber, und das wäre vielleicht der unheimlichste, der verwegenste Gedanke, hat er auch gar nichts getan, vielleicht hat der Autor nur zu seinem eigenen Schutz behauptet, er wäre vergewaltigt worden. Auch von so etwas hat man bekanntlich bereits gehört. Sogar Religionen, habe ich mir sagen lassen - ich nenne jetzt keine Namen - sind in ihrem trist-mythologisch-realistischen Kern mitunter auf sowas gegründet. Vielleicht gab es also gar keine Vergewaltigung, sondern in der Tat nur ein Einvernehmen. Das wäre dann nicht einmal eine Sache mehr der Gerichte. In diesem Falle wäre selbst Autor PC Melville zu tiefem Dank verpflichtet.

***

An sich hatte, wie sich denken läßt, PC Auden dieses Buch herausgegeben sollen, einer der größten lebenden Kenner antiker Dichtung, der vor allem die schon mehr als nur länglichen Teile über den römischen Dichter Catull und seine komplizierte Beziehung zu Cicero, aber auch die sich wie ein Faden durch den Text ziehenden eher theoretischen Auseinandersetzungen mit der Idee des Reims - keine ganz leichte Sache - entsprechend kompetent hätte kommentieren können. Er war, wie ich hier berichten darf, auch gern dazu bereit. Leider finden sich in dem Buch jedoch längere Passagen, die sich mit seinem Namenspatron, dem berühmten Dichter W. H. Auden befassen, in zum Teil, muß man sagen, leider recht unfairer Weise, mancherorts sogar nur noch in obszön plakativer, geradezu wüster Absicht, auf die man in Verbindung mit Auden erst mal kommen muß, was den "Bund deutscher Rechner" (BdR) dazu führte, PC Auden wegen einer möglichen Befangenheit, in der er allzuviel streichen oder ganz in der vermutet-perversen Art des PC Melville von Neuem radikal ändern würde, lieber abzulehnen . So blieb die undankbare Aufgabe an mir hängen. Ich habe, da für mich persönlich ein Konflikt zwischen Catull und Auden eigentlich gar nicht erkennbar ist und ich Cicero ohnehin für einen Langeweiler halte, dem man schon daher zu Recht die Zunge abgeschnitten hat, nur noch wenig geändert, und wenn, dann nur wegen der besseren Lesbarkeit oder um die Empfindlichkeit des Lesers an einigen der nun wirklich überzogenen Stellen, aber seit de Sade sind wir schließlich einiges gewohnt, entscheidend zu schonen. Im Großen und Ganzen hat der Text immerhin noch mehr als elf Zwölftel der Länge, in der er mir übergeben wurde. Das sollte bei solchem Schmutz reichen.

In meinen Anmerkungen habe ich mich wiederum vor allem bemüht, gewisse Beziehungen zu anderen Teilen der Comédie Artistique, trotz der wahnsinnigen Verstümmelungs-Tat des PC Melville bleiben sie sichtbar, herauszuarbeiten. Daß die große Liebe Petrarcas (offenbar schon ein "Berg" von einem Dichter, bloß weil er einmal den Mt. Ventoux erklommen hat: "Es herrschte auf diesem Berg eine erstaunliche Kahlheit . Es war dort sehr windig und es ging enorm steil hinauf. Viele, viel Steine...") zur schönen Laura de Sade ("Zu gern würde ich jetzt noch einmal die fette Laura ficken!") ebenso besudelt wird, wie Vossens Übertragung der Ilias (statt des Vosseschen "Peleiade" wird das Wort "PeleÎde" aus der Stolbergschen Übersetzung benutzt, und zwar ohne die beiden Doppelpunkte über dem Î, was das Wort im Deutschen ganz unsinnig werden läßt, zumal in Vereinigt, dem zweiten Teil der Comédie Artistique mit größter Sympathie auf die Vossesche Übersetzung eingegangen wurde) ist mir dagegen im Grunde ganz egal. Ich habe es wie es da steht, stehen gelassen. Diese Welt hat weiß Gott andere Probleme. Wenn es nach mir ginge, könnte man sich mit ein paar Blättern aus einem Gedichtband von Auden - entschuldigen Sie meine jäh frankophone Gangart, aber die Franzosen sind meiner Ansicht nach nun einmal die letzten Europäer - auch den Arsch abwischen. Das gehört schließlich zur Freiheit der Kunst.


PC Olson (BdR - Komitee für Dichtung und Menschheit)