K. Wyborny

Eine Episode aus dem Hundertjährigen Krieg

c 2002


Kapitel 15

Im Flugzeug kam ich, wie es so kommt, neben Waldemar zu sitzen, wir waren beide Nichtraucher, und meine Frau wollte auf keinen Fall auf ihre Zigaretten verzichten. - "Na das war ja was, eine Weile dachte ich heut Mittag wahrhaftig, Sie wären der Gatte jener prächtigen Dame", kam er gleich auf den zwischen uns schwebenden archimedischen Punkt. - "Nein, nein, wirklich, ich kannte sie wirklich nur flüchtig, ich hab nur zwei dreimal mit ihr gesprochen, ich bin doch verheiratet, vor allem übers Meer und wie es hier in Tunesien ist, und ansonsten kaum mehr als eine fahrzeuglose Wüste, und daß man eigentlich nicht darin baden sollte. Konnte sie Ihnen bei der Suche nach Ihrer Sirene weiterhelfen?" - "Nein, eigentlich nicht", wurde er mürrisch und grübelte eine Weile vor sich hin, "... sie ist verheiratet ... in zweiter Ehe ... ihr Mann war grade in Tunis und kommt heut Abend zurück, ist wahrscheinlich inzwischen schon bei ihr..." - "Haben Sie Ihre Nummer?" - "Leider nicht, in der Schnelle hab ich sogar vergessen, sie nach dem Namen zu fragen, sie wohnt in Essen, ach ist vielleicht ganz gut so, außerdem photographiert sie, da kommt man gar nicht erst in Versuchung. Von Stalingrad, Sie hatten mir ja gesagt, daß da was mit Stalingrad war, will sie natürlich nichts mehr wissen, sie hat offenbar keine Ahnung was da mit manchem geschah..." - "Was meinen Sie damit, was geschah denn in Stalingrad?" --- "Ach das ist eine Geschichte von der Art, daß sie zwar vollkommenen Glauben verdient, daß ich gleichwohl aber Gefahr laufe, für einen Windbeutel gehalten zu werden, wenn ich sie erzählen wollte. Denn die Leute fordern, als erste Bedingung, von der Wahrheit, daß sie wahrscheinlich sei; und doch ist die Wahrscheinlichkeit, wie die Erfahrung lehrt, nicht immer auf Seiten der Wahrheit. Wollen Sie hören?" - "Na bevor ich mir diesen Idiotenfilm anschaue, der hier unweigerlich gleich gezeigt wird..." --- "Also gut: Sie wissen ja bereits, daß ich Stukaflieger war, und in welche Schwierigkeiten wir in Sizilien gerieten, ab Mitte 43 gabs jedenfalls keine Stukas mehr, nur noch ein Paar an der Ostfront, sie waren nämlich alle mit Mann und Maus abgeschossen, und so erhielt ich den Befehl, in Peenemünde, dafür konnten sie nur sehr kleine Männer gebrauchen, die Me 163 zu testen, und ich bin ja nun einmal nicht besonders groß..." - "Donnerwetter, das Kraftei?" - "Ah, ich sehe, Sie kennen sich aus, sind Sie auch Pilot?" - "Nein, nein..." - "Dachte ich mir. Seit dem maltesischen Desaster glaubte ich nicht mehr an den Endsieg, ich sagte es Ihnen meine ich schon, und das ließ ich auch damals manchmal wissen, ich bin nicht der Typ, der dauernd ein Blatt vor den Mund nimmt..." - "Tja, das glaub ich inzwischen auch..." - "Ende 42 geriet ich so in eine Widerstandszelle, gleich nach El Alamein, ich weiß nicht, ob Ihnen das überhaupt noch was sagt, für uns waren diese Daten damals natürlich wichtig, haben sie die Löwen hier gesehen?" - "Ja sie sehen prachtvoll aus, der König der Wüste." - "Vermehren sich hier die Fliegen. Mittwoch hat einer am Strand sieben von diesen fliegenden Händlern erlegt..." - "Ja, ich habe davon gehört, an diesem Tag waren wir in Kairouan..." - "Na gut, auch viele Maltaflieger darunter, alles Leute, die begriffen hatten, daß der Krieg verloren war, und die, um ihn zu beenden, Hitler* umbringen wollten, ähnlich wie später Stauffenberg. Aber die Leute um Stauffenberg waren Stümper. Sie kamen zwar an Hitler ran, doch dieser Stauffenberg schien eine Memme gewesen zu sein, ein Stefan-George-Schüler, neulich hörte ich es im Fernsehen, wie soll das klappen. Höchstens noch mit Dolchen wie einstmals Brutus, dazu hatten Sie aber auch nicht den Mumm, sie wollten ja schick wieder entkommen. Diese Stefan-Geoge-Leute sind immer mit flatternden Umhängen rumgelaufen, die waren doch nicht ganz dicht, und dieser Stauffenberg, war er nicht sogar eine Art Dressman?" - "Na, Sie übertreiben, aber es stimmt schon insofern, als er, glaube ich, Hitler eine neue Uniform vorführen sollte, irgendwie klappte das nicht..." - "Na Schwamm drüber, und warum soll man drüber lachen, auch das waren tapfere Leute. Wir gingen jedoch anders zur Sache, nach dem ersten Palavern entschlossen wir uns nämlich für eine Atombombe." - "Für eine Atombombe!" staunte ich nun doch. - "Ja das weiß natürlich niemand, und alle daran Beteiligten sind inzwischen gestorben, meines Wissens bin ich der letzte, ich bin auch einer der letzten Überlebenden, die so ein Kraftei geflogen sind, damit wollten wir es machen." - "Und woher hatten Sie die Bombe? Haben Sie sie den Amerikanern abgekauft?" versuchte ich einen Witz. - "Na, Sie sind mir ja ein ganz Schlauer, sie halten mich wohl für einen Spinner. Na kanns Ihnen ja nicht verdenken ... - Heisenberg hat sie für uns gebaut." - "Werner Heisenberg?" - "Ist Ihnen der Name ein Begriff?" - "Klar, der Erfinder der Quantentheorie; ja, richtig, ich hab mal gehört, daß er an einer Atombombe herumgebastelt hat, aber das ist irgendwie vertuscht worden, und Heisenberg selbst hat es immer abgestritten." - "Aber er hat sie gebaut, ich hab sie sogar gesehen." - "Was? Sie haben sie gesehen?" - "Ich saß sogar auf ihr drauf, Heisenberg nannte sie Uran-Bombe, sie war in eine 163 eingebaut." - "Nun machen Sie mich ja wirklich gespannt." - "Anfang 43, damals wußte man natürlich nichts von der 163, kamen die Stalingradleute dazu, darunter mein Freund, dieser N., von dem ich erzählt hab, als juristischer Berater, es gab da nämlich reichlich Probleme mit dem Widerstand und dem Militärgesetz, die ausgeräumt werden mußten, die Sache sollte juristisch und völkerrechtlich einwandfrei ablaufen. Um diese Sachen kümmerte sich mein Freund. Unterdessen wurde ich in Tunis, damals gab es hier noch keine Löwen, ich glaube die Wüste wächst, Zeuge von Rommels letzten Gefechten und seiner Abberufung am 9. März. - "Aber Ihr Freund konnte natürlich keine Atombombe bauen." - "Nein, mein Lieber, da gehört schon ein bißchen mehr dazu; Juristen wie diesen N. finden Sie wie Sand am Meer, aber für die Atombombe brauchten wir Heisenberg." - "Donnerwetter, und wie kommt man an Heisenberg?" - "Ja das war in der Tat das Problem. Jemand mußte mit ihm in Verbindung treten, und raten Sie mal wer das war?" - "Ihr Freund?" - "Nein, ich sagte Ihnen ja schon, der war Jurist und hatte nicht den Mumm dazu, nach Stalingrad kämpfte er nur noch mit Paragraphen. Nein, da kam ich ins Spiel." - "Was, Sie?" rief ich aus.* - "Ja meine Wenigkeit. Als ich nach Rommels Absetzung Heimaturlaub bekam, wurde ich aufgefordert, den Kontakt zu Heisenberg herzustellen. Ich willigte ein. Schließlich hatte ich 19 mal Malta angegriffen, warum sollte ich da Angst vor Heisenberg haben." - "Ja, das leuchtet ein ... Und wie haben Sie es angestellt?" - "Ich hab einfach mit ihm telefoniert, ich hab ihn angerufen…" - "Was, Sie haben Werner Heisenberg einfach angerufen?" - "Ist doch nichts dabei, ich sagte seiner Sekretärin am Telefon, ich wär Kampfflieger und hätte 19 mal Malta bombardiert, da stellte sie mich einfach durch und ich hatte Heisenberg in der Leitung." - "Und was sagten Sie ihm?" - "Ich sagte ihm dasselbe: Ich sagte ihm ich wäre Kampfflieger und hätte 19 mal Malta bombardiert und wäre nun der letzte meines Geschwaders, weil die Verluste jedes Mal 37 Prozent betragen hätten, bei jedem Angriff, und daß ich fände, daß man da was tun sollte, und ob er sich nicht mal mit mir treffen könne." - "Und was hat Heisenberg dazu gesagt?" - "Er hat sich das mit den 37 Prozent ausgerechnet, und gesagt: 'Aha, wenn Sie der Letzte sind, dann waren Sie zu Anfang 6494. Ist die Zahl in etwa korrekt?' - worauf ich antwortete: 'Ziehen Sie achthundert ab, insgesamt waren wir 5670'. Und er: 'Sie sind ein tapferer Mann, wo können wir uns treffen?'" - "Und stimmten die Zahlen?" - "Ja sie stimmten, er hatte es in zehn Sekunden ausgerechnet. Der Fehler lag in der Militärstatistik, dort versteht man nichts von Prozentrechnung, aber er war Physiker und konnte rechnen." - "Ja bei 50 Prozent wären es, Moment mal, bei 13 Einsätzen ... 8192 gewesen..." - "Ach, Sie können auch rechnen?" - "Leider nur mit dem Wert 50 Prozent, das ist nämlich einfach, dann geht es in Zweierpotenzen ... Doch was hat denn nun diese Dame, wo kommt sie noch mal her, aus Essen? damit zu tun, und was meinen Sie damit, daß sie nicht gewußt hätte, was damals mit manchem geschah? Und wieso erzählen Sie mir ausgerechnet, daß sie photographiert? Was Sie da sagen, macht doch überhaupt keinen Sinn. Geben Sie doch einfach zu, daß Sie mit ihr was gehabt haben, das konnte man doch sehen, Sie war ja ganz verrückt nach Ihnen. Sie müssen sie ja mächtig beeindruckt haben. Kannte Sie Ihre Sirene? Und konnte sie etwa ebenfalls prachtvoll singen? " - "Ach warten Sies ab", sagte er gequält: "Am 19. März 1943 trafen wir ins in Dessau, was nicht weit von Leipzig ist, wo er, ich meine Heisenberg, manchmal noch an der Universität zu tun hatte ... nach meinem Urlaub sollte ich nämlich eine 188 von den Dessauer Junkerswerken nach Sizilien überführen, und von Leipzig nach Dessau ists wie gesagt ein Klacks. Als Treffpunkt wurde das ehemalige Bauhaus gewählt, wo wir vorm SD sicher waren, sie hielten es für entartete Kunst und trauten sich nicht in seine Nähe. Dort gingen wir eine Weile spazieren. Erst unterhielten wir uns über Beethoven, und daß ein Jammer wäre, was mit Deutschland geschähe, dann sagte ich ihm noch einmal daß ich 19 Einsätze gegen Malta geflogen wäre, und er das mit dem tapferen Mann, und da in Sizilien hätte ich gesehen, daß der Krieg verloren war und wir von Verrückten kommandiert würden, und da sagte er sofort, das sähe er genau so. Meine Zahlen hatten ihn überzeugt. Und wieder sagte er, ich sei ein tapferer Mann. Dann erzählte ich von unserer Widerstandsgruppe, und daß wir den Krieg verkürzen wollten, indem wir mit einem Stuka, an den eine Atombombe montiert war, auf die Reichskanzlei stürzten; aber wir hätten leider keine Atombombe, und ob er sie bauen könne, und er sagte: 'Ein guter Plan', und: 'Sie sind ein tapferer Mann' und schließlich: 'Na gut, ich baue Sie ihnen. Rufen sie mich in einem halben Jahr wieder an!' Ohne viel wenn und aber verschwand er dann, ich sehe ihn noch vor mir, wie er mir in seinem englisch geschnittenen Anzug den Rücken zukehrte - ein richtiger Naturwissenschaftler! Einer der rechnen konnte... Von uns Laien werden Zahlen ja immer unterschätzt..." - "Und wie ging es weiter? - "Ich überbrachte meinen Kameraden also die Nachricht, sie waren begeistert, damit war die Technik geklärt und es galt nur noch zu warten, und so wurden nun die juristischen Probleme in aller Ausführlichkeit diskutiert, Kapitulation, Waffenstillstand, ob man eine Demokratie anvisieren sollte oder die Monarchie wieder einführen, wer Oberkommandierender werden sollte, die ganze Leier, darüber verging, während ich noch mal nach Sizilien abkommandiert wurde, die Zeit. Am 13. Mai 43 ging Tunis verloren, und im Juni bombardierte ich, das hab ich Ihnen ja schon erzählt, als letzter Stuka den Bardopalast, ein völlig sinnloser Angriff, zumal es hier nichts zu zerstören gab, aber ich hatte den Glauben an das Oberkommando längst verloren; als Patton im Juli in Sizilien landete, war ich bereits zum Testen nach Peenemünde versetzt. Erst testeten wir, am Raketenmotor wurde noch gebaut, allein die Gleiteigenschaften, er wurde erst Anfang August geliefert, doch am Monatsende flog die Maschine dann mit eigener Kraft. Mitte September rief ich Heisenberg an und wurde wieder sofort zu ihm durchgestellt. Ich erzählte ihm begeistert, daß wir es nun lieber mit der Me 163 machen wollten, damit ginge es besser, die Flugabwehr hätte keine Chance, ein ganz neues Flugzeug mit Raketenantrieb, aber er entgegnete kühl: "Es ist komplizierter als ich dachte, ich bin nicht fertig. Ich brauche noch vier Monate...", und so schleppte es sich dahin. Ende September bildeten wir in Bad Zwischenahn schon neue Leute an der Maschine aus, zu fünft, so schnell gings plötzlich, unser Projekt hatte hohe Priorität, 23 neue Piloten, und in unserer Widerstandgruppe einigte man sich endlich darauf, daß es demokratisch zugehen sollte, es gab sogar eine erste Verfassung, aber Heisenberg war auch im Januar 44 noch nicht fertig. Im April wurde, in Brandis bei Leipzig, das erste Abfanggeschwader aus Me 163 gebildet*, zur Sicherung der Leunawerke, dann kam die Invasion, der 20. Juli und Heisenberg baute immer noch an seiner Atombombe, er wurde nicht fertig. Ich dachte schon, er hätte sich verrechnet ... aber er hatte sich nicht verrechnet, es tauchten immer neue Probleme auf, die Zentrifugen funktionierten nicht, er konnte nicht genug Zwangsarbeiter rekrutieren, all das war nicht seine Schuld, es war die Schuld der Kriegswirtschaft, die unter den alliierten Bombenangriffen litt und jede Vorhersage gefährdete ... und es war auch Schuld der Idioten da oben, die der Bombe eine niedrigere Priorität gaben als zum Beispiel unserer Staffel, doch Mitte November 44, nach anderthalb Jahren, inzwischen waren wir in Stargard stationiert, das ist in Vorpommern, wo wir die Pölitzer Hydrierwerke schützen sollten, war es endlich so weit. Heisenberg ließ sein Dings mit einem Lastwagen anliefern und es wurde an mein Kraftei montiert, wobei außer mir keiner wußte, daß es eine Uranbombe war, die paar halb Eingeweihten in Stargard dachten, es wär normaler Sprengstoff, wie bei den Kamikaze-Fliegern, von denen man grade gehört hatte, und ich hätte irgendeinen Geheimauftrag. Wir waren zwar eine ziemlich schräge Truppe**, lauter Zwerge, die auch gern mal zusammen einen hoben, doch eine Widerstandsgruppe waren wir trotzdem nicht, man mußt schon aufpassen ... -- als Termin wurde schließlich der 6. Dezember festgelegt. Am 1. Dezember war alles bereit. Aber es sollte demokratisch zugehen, Deutschland sollte eine Demokratie werden. Und nun versuchen sie mal in eine demokratischen Abstimmung durchzubringen, daß die eigene Hauptstadt mit einer Atombombe zerstört wird. Schnell gab es, wir trafen uns während eines Luftangriffs in Berlin, das war am sichersten, zwei Lager, diejenigen, die dafür waren und die Atombombengegner. Ich war dafür, nach Malta hatte ich die Lust am Leben verloren, viele tapfere Leute haben da Selbstmord begangen, aber meiner hätte den Krieg wenigstens abgekürzt und dem deutschen Volk sinnlose Opfer erspart. Es gab jede Menge Argumente: die Verluste der Zivilbevölkerung, die anrückenden Russen, die drohenden Vergewaltigungen, andererseits die Amerikaner, was würden die denken, wenn plötzlich eine Atombombe auf Berlin niederginge, würden sie es mit der Angst bekommen, und aus Panik selbst kapitulieren, dann wärn wir den Hitler zwar los, hätten aber plötzlich den Krieg gewonnen, und das war ja auch nicht der Sinn unseres Unternehmens, das wär unfair gewesen, ich meine die Alliierten haben den Krieg fair gewonnen, es schien nicht richtig, ihren Sieg zu gefährden ... wie Sie sehen (das alles unter bedrohlich sich nähernden Bombenteppichen), jede Menge Argumente." - "Und Heisenberg mittendrin?" - "Nein er ließ sich nicht blicken, unter uns war ich der einzige, mit dem er sprach. Heisenberg hielt sich bedeckt. Er hatte die Bombe geliefert, und jetzt sollten wir mal machen. Als die Sirenen Entwarnung gaben, kam es zur Kampfabstimmung, dreizehn waren dafür, dreizehn dagegen, eine Enthaltung, und so fand es erst mal nicht statt. Ich stimmte, wie gesagt dafür, mein Freund, der als Jurist die Verfassung ausgearbeitet hatte, konnte sich nicht entscheiden und hatte sich enthalten. Als nächster Termin wurde Weihnachten vorgeschlagen, wieder das gleiche Stimmenverhältnis ... dann wurde es Silvester, N. konnte sich weiterhin nicht entscheiden ... im Februar wurde unser Geschwader wegen der Russen, die immer näher kamen, nach Nordholz verlegt, das ist bei Cuxhaven, von wo aus man mit der 163 nicht bis nach Berlin kommt, das wär das Ende unseres schönen Plans gewesen, zuerst ging es aber nur von Stargard nach Neubrandenburg, es war Winter, wissen Sie eigentlich wie die Messerschmitt 163 funktioniert?" - "In etwa, ich glaube sie hatte, wie Sie schon sagten, einen Raketenmotor und flog sehr schnell." - "Richtig, mit dem Walter HWK 109-509, aber damit konnte man nur starten, dann war der Sprit alle und man mußte ohne Antrieb weitergleiten, wie ein Segelflugzeug, haben Sie mal die amerikanischen Raumfähren gesehen?" - "Ja, landen die nicht sogar wie ein Segelflugzeug?" - "Richtig, genau das taten wir auch, die Amerikaner haben sich das von uns abgeguckt, auch das mit dem Nurflügel-Rumpf. Wir landeten auf Kufen und hatten, um Gewicht zusparen, nicht einmal Bremsen, statt dessen wurde das Flugfeld verlängert. Kam ein Bomberverband, stiegen wir auf, oben konnte man dann ein zweites Mal zünden, dafür wurde ein bißchen Sprit zurückgehalten, so daß man zwei Anflüge hatte, man konnte also zwei mal schießen, insgesamt 30 Schuß Munition, die warn in zwei Sekunden weg, aber es waren Minengeschosse, wenn eins traf, reichte es, doch man mußte aufpassen, daß man nicht gleich zu viel schoß. Ein Feldwebel hat mal geschafft, dabei zwei Bomber zu treffen, im Grunde lohnte der Aufwand jedoch nicht. Ich hab nicht einen einzigen runtergeholt, trotzdem ich 12 Einsätze hatte, 10 mal hab ich die Bomber nicht mal gefunden..." - "Und an so ein Ding war Heisenbergs Uranbombe montiert?" - "Richtig, das mit der Rakete ist allerdings erst die halbe Geschichte. Wissen Sie wie der Transport von Flughafen zu Flughafen erfolgte, wenn man verlegt wurde oder irgendwo notlanden mußte?" - "Genauso? In kleinen Hüpfern?" - "Nein, verlegt wurde mit der Eisenbahn, von Brandis zum Beispiel nach Venlo in Holland, gleich nach der Invasion, oder man wurde von einem anderen Flugzeug geschleppt, man benutzte dazu eine umgebaute Me 110..." - "Eine Me 110 ... ist das nicht ein sogenannter Nachtjäger oder Zerstörer? Eine Maschine mit irgendwie Haifischrumpf und zwei Motoren?" - "Richtig, aber woher wissen Sie das? Sie sehen eigentlich nicht so aus, als wenn Sie das kennen würden." - "Ach, ich hab doch als Kind all diese Hefte gelesen, 'SOS - Schicksale deutscher Schiffe', usw..." - "Ja, kenn ich auch, im Grunde war das Zeugs* gar nicht so schlecht, richtig ein bißchen aus dem Leben gegriffen ... - Na, so ein Dings flog also mit dem Schleppseil voran, und dann mußte man sehen, daß man dahinter genau richtig hochkam. Nahm man das Höherruder zu früh hoch, riß man die Me110 am Heck nach oben, dann machte es Rums. Nahm man es zu spät hoch, zerrte es die Schleppmaschine nach unten, was ebenfalls zum Absturz führte. Die Piloten der Schleppflugzeuge hatten jedesmal eine Heidenangst. Zurecht, würde ich sagen. Noch während des Starts wurde das Fahrwerk abgeschmissen, und wieder galt: warf man es zu früh ab, sprang es auf und traf vielleicht das Flugzeug, und dann Exitus! Warf man es zu spät ab, stimmte wiederum die Aerodynamik nicht, was auch nicht besser war. Gelandet wurde auf der Kufe, wie gesagt, auf, wenns ging einem verlängerten Flugfeld und ohne Bremse." - "Da klingt das mit der Eisenbahn bequemer..." - "Richtig, Sportsfreund, aber im Februar 45 gab es keine Eisenbahn mehr, der man eine 163 anvertrauen konnte." - "Und in so was haben Sie sich auf einer Atombombe von Stargard nach Neubrandenburg schleppen lassen?" - "Richtig." - "Sie sind ein tapferer Mann." - "Das hat Heisenberg auch gesagt. Aber vor der Atombombe hatte ich keine Angst, auch später übrigens nie, die war ja noch nicht scharf, doch es war Winter und hoher Schnee, und direkt vor mir startete, mit mir im Schlepp, eine Me110, die diesen Schnee aufwirbelte und nach hinten schleuderte, so daß nichts, ich sag Ihnen, absolut nichts zu sehen war..." - "Sie sind wirklich mutig, hatten Sie nicht Angst, daß das Flugzeug mit der Bombe zu schwer war?" - "Beim Schleppen war nie Sprit in den Tanks, deshalb gings grade noch, trotzdem war ich froh, als ich wieder am Boden war und auf meiner Kufe zur Seite plumpste. Das Flugfeld war zwar für mich und die Bombe nicht lang genug, aber wegen dem hohen Schnee machte es nichts aus... Treibstoff wurde nur bei einem Angriff getankt. Bei meinem Sturz auf Berlin hätte ich mit einem Minimum auskommen müssen, es wär grad so gegangen, das hat ein Ingenieur, der dachte, die Bombe bestände aus Sprengstoff, er war aber einigermaßen eingeweiht, sonst hätt ers nicht gemacht, für uns ausgerechnet. Auch die Ingenieure konnten damals noch rechnen, Heisenberg war nicht der einzige..." - "Was Sie mir da alles erzählen..."- "In Neubrandenburg hab ich dann, indem ich einen Schaden vortäuschte, hingekriegt, daß ich mit meiner Maschine einsatzbereit dort zurückblieb... an mir lags also nicht, daß es nicht klappte, ich blieb bereit ... Dann kamen Rosenmontag, Aschermittwoch und Ostern und schließlich der erste April ... und, ob Sies nun glauben oder nicht, da endlich hatte sich mein Freund zu einer Entscheidung durchgerungen, die er vor seinem Gewissen vertreten konnte: als der zwanzigste April vorgeschlagen wurde, stimmte er zu..." - "Aber Hitler hat doch eine Woche später ohnehin Selbstmord begangen." - "Nein, erst am dreißigsten, woher sollten wir das aber wissen? Man kann schließlich nicht alles haben, und die Frauen wären wenigstens nicht vergewaltigt worden ... -- ja eine Weile gab es da auch in Deutschland plötzlich wieder Sklaverei...", wurde er auf einmal in anderer Richtung nachdenklich, "... - Ich war jedenfalls noch immer dafür. Doch da stimmte plötzlich ein anderer dagegen und argumentierte wie Sie, daß der Krieg ohnehin zu Ende sei, und so wurde es endgültig abgeblasen. Und da sieht man mal wieder, wie das Leben spielt: Daß mein Freund erst am zehnten April zustimmte und nicht schon am ersten, sollte sich rächen. Es stellte sich nämlich heraus, daß die betreffende Dame, damals war sie natürlich noch ein kleines Mädchen, am ersten April in Berlin gewesen ist. Hätte ich mich mit meiner Messerschmitt draufgestürzt, wär sie garantiert eins der Opfer gewesen. Auf diese Weise hat mein Freund zwar Berlin gerettet, aber auch die Frau, die sein Leben zerstören würde. Vielleicht erinnerte sie ihn auch an die zahllosen Bombenangriffe damals, vielleicht nannte er sie auch deshalb seine Sirene, damals rettete vielen ja so eine Sirene das Leben. Heisenberg hielt sich bei all dem bedeckt. Ich sag Ihnen, der konnte noch rechnen und hat nach dem Krieg einfach behauptet, er hätte nie eine Bombe gebaut." - "Und was ist mit dieser Bombe passiert?" - "Keine Ahnung, da kamen ja schon die Russen ... ich bin bei Ferchland über die Elbe geschwommen und hab mich auf einem Bauernhof in Derben versteckt." - "Was? Derben? Sie kennen Derben? Ich habe einen Bekannten, der dort geboren ist, ein gewisser Wyborny." - "Wie? Sie sind ein Bekannter von diesem Wyborny? Donnerwetter. Was ist denn aus dem geworden, ich war bei seiner Geburt dabei..." - "Wie? Was? Das kann doch nicht wahr sein. Was ist denn das schon wieder für eine Geschichte, das klingt ja noch unwahrscheinlicher. Das ist ja ein Dings, er ist, na ja, eine Art Kollege von mir, im Grunde leider aber eher ein Versager. Wie kam denn, daß Sie bei seiner Geburt zugegen waren?" - "Ich hatte bei seiner Großmutter Unterschlupf gefunden, nein, nein, nicht was Sie denken, sie war eine verheiratete Frau, kennen Sie die Blechtrommel?" - "Sie meinen Günther Grass*? Hat er nicht ebenfalls den Nobelpreis gekriegt?" - "Ja, darin gibt es eine Szene, wo jemand, ich glaub um der Polizei zu entgehen, einer Bäuerin unter den Rock kriecht, auf offenem Feld, so ungefähr müssen Sie sich das vorstellen, ich bin bei ihr einfach untergeschlüpft, kennen Sie die Blechtrommel nicht?" - "Doch, doch", log ich, um, nachdem ich ihm gegenüber schon erklärt hatte, nur flüchtig mit der Odyssee bekannt zu sein, nicht als totaler Kulturbanause dazustehen. - "Und so kam es, daß ich den kleinen Wicht sogar in den Händen gehalten hab, bei seiner Geburt war ich nämlich der einzige anwesende Mann, der Vater war unterwegs, ein ziemlicher Windbeutel, würde ich sagen, ein Österreicher, genau wie Hitler, aber wir waren natürlich damals alle sehr jung, und es war nicht immer ganz einfach, in all dem die Übersicht zu behalten..." - "Bei Wybornys Großmutter?" - "Nein, nein, wirklich nicht was Sie denken ... trotzdem eine ganz schöne Zeit. Ich hab dem Wyborny sogar das Leben gerettet: hätt ich nämlich bei den Amerikanern damals nicht um einen Arzt gebettelt, wär er gleich nach der Geburt mit seiner Mutter verblutet. Wenn mich nicht alles täuscht, wurde ich sogar sein Taufpate, aber das ist natürlich schon alles ziemlich lang her, doch ich war, wie gesagt, der einzige Mann weit und breit, den man für so was verwenden konnte. Zur Belohnung haben mich die Amerikaner verhaftet und wollten alles übers Kraftei wissen, welcher Treibstoff das Ding z.B. antrieb, wie lange es in der Luft war, usw. usw., na, ich wußte ja nur: C und T - Treibstoff, es war so hochgeheim, daß sie es nicht mal uns Piloten erzählten, ansonsten wurde nur was von Wasserstoff gemurmelt, heute weiß ich, daß die drei Rumpfbehälter mit dem "T-Stoff" Wasserstoffperoxid enthielten, und daß der "C-Stoff" der vier Flügelbehälter aus Hydrazinhydrat mit Methylalkohol bestand, in beiden war der Wasserstoff, der das Ding antrieb, raffiniert gebunden ... dieser Ingenieur der uns die Aerodynamik mit der Bombe ausrechnete, hat später für die Amerikaner gearbeitet, mit Wernher von Braun, er war sogar beim Apollo-Programm dabei, wie gesagt, der konnte noch rechnen ... So, so, ein Versager ist der kleine Wyborny also geworden, ich hab ihn nie wiedergesehen... na eigentlich kein Wunder so ohne Vater..." - "Aber er hatte doch einen Vater..." - "Ja einen Österreicher, das ist doch nichts. Kein Wunder, daß so viele Künstler aus Österreich kommen." - "Na ja, immerhin hat er sich angestrengt, das ist mehr als man über die meisten sagen kann..." - "Wenn Sie sich da mal nicht täuschen, alter Junge: anstrengen tun sich alle ... -- Der Begriff der Sirene war für diesen N. jedenfalls um Potenzen vielschichtiger besetzt, als seine Frau die ganze Zeit dachte, wohl weil er fühlte, wie sehr sie ihn mit ihrem Singen am Leben hielt. In dieser Schärfe hat er ihr dies jedoch vermutlich nie gesagt. Sehen Sie so ist das Leben. Mein Freund arbeitete dann an der deutschen Verfassung mit, die zum großen Teil seine Handschrift trug und teilweise noch immer trägt; er wurde Verfassungsrichter, übersetzte Baudelaire, etc. Manchmal trafen wir uns, Kameradschaftsabende, mehr oder weniger traurig, da fiel wohl dann und wann natürlich auch das böse Wort Stalingrad, ich sprach selbstredend lieber über Malta oder, wenn ich in Form kam, über die Messerschmitts, und wie wir das Fahrwerk abwerfen mußten. Doch als sie heute dabei plötzlich Stalingrad sagte..." - "Was, Sie hat dabei von Stalingrad gesprochen? War sie etwa selber die Sirene? Das kann ich nicht glauben..." - "Ach, Sie haben es doch längst erraten..." - "Na, Mensch ich gratuliere, dann sind Sie ja am Ziel Ihrer Wünsche. Und hat Sie für Sie gesungen?" - "Ja, schon..." - "Warum sind Sie denn so bedrippst. Respekt, Respekt, Sie müssen sie ja in nicht mal zwei Stunden rumgekriegt haben, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, bei Ihrer Größe. Gratuliere, Sportsfreund. Wie haben Sie das geschafft? Haben Sie ihr gleich unter die Nase gebunden, daß Sie ein Freund Ihres Mannes waren?" - "Natürlich nicht; und als ich begriff, um wen es sich bei ihr handelte, waren wir ja bereits zugange, da ging das schon nicht mehr ... und danach war es noch schlimmer... Sie können ja einer Frau, die im Bett ihre intimsten Geheimnisse preisgibt und Sie dadurch so richtig in Fahrt bringt, nicht anschließend sagen, daß das für Sie alles alte Kamellen waren, weil nämlich ihr Mann Ihnen schon alles erzahlt hat..." - "Ach, sie hat tatsächlich dies und das dabei preisgegeben?" - "Nicht nur dies und das, sie konnte sich gar bremsen, ich hatte das Gefühl, sie hat schon seit Jahren auf so was gewartet..." - "Donnerwetter. Und war es schön?" - "Ja, schon, aber sie ist leider verheiratet ... und sie photographiert..." - "Ach, man kann nicht alles haben." - "Na vielleicht haben Sie recht. Als sie jedenfalls plötzlich von Stalingrad sprach, ich meine, das müssen Sie sich mal vorstellen: Stalingrad, während des Fickens! Das ist doch nicht normal, begriff ich auf einmal, daß sie es mit dem Mann an der Friedhofsmauer nur gemacht hat, weil sie uns alle für alte Nazis hielt, nur deswegen hatte sie ihren Mann betrogen." - "An einer Kirchhofsmauer..." warf ich lächelnd ein. - "Ja richtig, es war ja die Kirche. Nur die Kirche kann uns retten, Cézanne hat das mal gesagt. Ziehen Sie eigentlich einen kurzen Tod vor oder einen langen?" - "Meinen Sie in der Kürze liegt die Würze? Ich glaub, ich bin anderer Ansicht, ohne mir aber wirklich sicher zu sein. Unangenehm, die Frage." - "Sie sind ein Scherzkeks. Dieser Dame war leider vollkommen unbekannt geblieben, daß ihr Mann ein ziemlicher Widerstandskämpfer war, darin bestand ihr Problem. Sonst hätte sie anders gehandelt. Andererseits auch wieder komisch, daß sie es, obwohl sie ihn so verachtete, so lange mit ihm ausgehalten hat ... daran erkennt man mal wieder das Perverse der Weiber..." - "Ja père vers, wie die Franzosen manchmal sagen, vaterwärts, stramm ab in Richtung des Vaters..." - "Ich glaub ich versteh Sie nicht..." - "Ach ich begreif es doch selbst nicht." - "Man muß eben alles an die große Glocke hängen, sonst versteht einen keiner. Aber sagen Sie Ihrer Frau mal, daß sie dafür gestimmt haben, sie als Kind mit einer Atombombe zu vernichten, und daß es nur durch Zufall nicht geschah. Und dann gibt es ja auch den Krieg zwischen den Generationen, wo ist denn da die große Glocke? ... Und dann natürlich den der Geschlechter ... -- ich bin zwei mal geschieden und hab am Ende, obwohl ich ein ausgeglichener Mensch geworden bin, meine Frauen beinah umgebracht ..., der auch schon seit mindestens einem Jahrhundert mit einer Schärfe geführt wird, von der nur wir Einzelnen eine Ahnung haben. Andererseits muß ich zugeben, hatt ich heut auch einigen Spaß. Haben Sie es nicht auch mal bei ihr versucht?" fragte er plötzlich ganz harmlos. - "Oh, ich werde mich hüten", blieb ich zurückhaltend, "ich bin verheiratet, Sie haben meine Frau doch gesehen, sie raucht, und Ihnen wird kaum entgangen sein, daß sie mich unter dem Pantoffel hat, aber da weiß ich wenigstens was ich hab..." - "Na Sie sind ja ein ganz Schlauer. Ich sag Ihnen, das war eine ganz irre Nummer, mir brummt noch immer der Kopf. Nein, nein, nicht wie Sie denken ... es war nicht nur das Singen, das fand ich nach meinen Erwartungen sogar eher fad, kaum besser als in einem billigen Porno, oder wegen meiner Hormone, oder wie immer das heute heißt, darüber bin ich hinaus. Es ging um den Kopf. Sollten wir noch mal nebeneinander im Flugzeug sitzen, Sportsfreund, könnte ich Ihnen auch das ein bißchen genauer auseinandersetzen ... So gesehen war gar nicht so schlecht, daß ich den Hitler damals nicht umgebracht hab. Man will ja auch ein bißchen Spaß auf der Welt. Ich sag Ihnen, das war eine ganz heiß gestrickte Nudel. Die hat das letzte von mir verlangt. Komisch, man muß fast neunzig werden, um das zu erleben. So gesehen kann man sogar von einem Sinn im Leben sprechen und warum denn nicht: sogar einem Sinn der Geschichte! Am Ende kommts da doch immer auf den Einzelnen an. Schon ein komischer Gedanke: der zweite Weltkrieg, das sinnlose Opfer der vielen Kameraden, der 20. Juli, Heisenberg, die Kapitulation, die Geschichte der Bundesrepublik, Währungsreform, Wiederaufrüstung, Kalter Krieg, Große Koalition, die Nachrüstungsdebatte, die Wiedervereinigung, der Zusammenbruch der Sowjetunion, all diese körperlichen Gebrechen, Jahrzehnte gefüllt von Depression und zunehmendem physischen Elend, all das führte zu diesen phantastischen zwei Stunden. Ich wollte ich hätte das mit zwanzig erlebt. Dann würd ich jetzt anders reden. Aber mit zwanzig hat man ja keine Ahnung. Sehen Sie: wir landen." - "Kennen Sie den Namen dieser Frau wirklich nicht?" sagte ich, denn er gefiel mir. - "Ich kannte natürlich nur den Namen ihres Mannes, und sie ist ja wieder verheiratet, ich hab vergessen zu fragen." - "Manche haben ja Doppelnamen, das ist in gewissen Kreisen modern", gab ich ihm einen Wink: "Wer weiß, vielleicht hören Sie noch mal was von Ihrer Sirene, ich würd den Kontakt nicht einschlafen lassen."

Mehr helfen wollte ich nicht. Schließlich konnte ich ihm schlecht sagen, was ich selber mit ihr und ihrer Pracht angestellt hatte, oder gar daß ich den Wyborny, der sogar vielleicht sein Patenkind war, um sein Lebensrecht betrogen hab (oder wie Hölderlin schrieb: daß ich seiner Seele ihr göttlich Recht versagte, weshalb sie auch drunten im Orkus nicht ruhen kann), denn das alles wär ja unweigerlich herausgekommen. Auf genau diese Weise zwingt die Welt einen Mann, wie ein Grab zu schweigen. Der Sirene wiederum (der williger ihr Herz, vom süßen Spiele gesättiget, nunmehr sterbe...) hat allein das Resultat von sowas vor Augen gestanden, an den Grund allen Schweigens kam sie, bei allem Mut, und ihr Mut war beträchtlich, nicht einmal annähernd heran. So bleibt mir, dessen Seele ebenfalls die Göttlichkeit versagt geblieben ist - in freilich noch radikalerer Weise als diesem Wyborny (aus, leider muß ich sagen, vor allem eigener Schuld) -, ebenfalls nur mit dem guten Hölderlin zu hoffen, daß mir wenigstens mit dieser Erzählung etwas Aufrechtes gelungen ist, oder sinngemäß (ich zitiere ein wenig zu mangelhaft frei aus dem Gedächtnis):


doch ist mir erst das Lied, das am Herzen mir liegt,

das Gedicht gelungen - willkommen dann -

O Schatten der Unterwelt. Wenn auch mein

Saitenspiel mich nicht hinabgeleitet: Einmal lebt ich,

wie Götter, und mehr bedarfs nicht.


Da sieht man mal, wo man hinkommt, wenn man sich bei so was auf die Deutsche Sprache einläßt: am Ende schweigt man ratlos auf Deutsch...


***

(finis operis, finis confessionis)