Werner Herzog
Für Werner Herzogs "Jeder für sich und Gott gegen alle" stellte Wyborny das Material für die traumartigen Sequenzen her.
Herzog wurde auf Wyborny dadurch aufmerksam, dass sowohl Herzogs Film "Aguirre" als auch Wybornys Film "Die Geburt der Nation" in einem Listing der Top-Ten-Filme des Jahres 1973 der englsichen Zeitschrift "Sight and Sound" auftauchten. Herzog wünschte eigentlich etwas ähnliches wie die Bilder aus dem zweiten Teil der "Geburt der Nation". Wyborny schlug stattdessen andere Verfahren vor.
Zum einen eine spezielle Objektivkombination (eine Weitwinkeloptik durch die man mit einem Teleobjektiv filmt), mit der er gerade an seinem Film "Pictures of the Lost Word" arbeitete.
Und zum anderen eine flackernde Rückprojektion auf speziellen halbtransparenten Materialen mit zum Teil extrem kleinen Zwischenbildgrößen, ein Verfahren, das er 1969 für seinen Film "William Parmagino" (1969) entwickelt hatte.
Die Vereinbarung bestand darin, dass Wyborny zwei Wochen bei den Dreharbeiten in Dinkelsbühl dabei war, und, assistiert von seiner damaligen Freundin Cynthia Beatt, in der Gegend unabhängig vom Team etliche Bilder aufnehmen sollte, die vielleicht in den Film passen könnten. Aus dem so entstanden Material besteht (Zeitangaben - Laufzeit auf der Arthaus-DVD) vor allem:
1.) Eröffnungsequenz (Minute 0:00 - 0:59), in der auch Cynthia Beatt erscheint, und
2.) Die erste Landschaftssequenz (16:26-17:32)
Außerdem fuhren sie gemeinsam eine Woche nach Irland (zur St-Patrick-Prozession am Croughpatrick) und in die Spanische Sahara, wo Wyborny mit seiner Bolex die Kamel-Karawanen-Aufnahmen für Kaspars Schlusstraum (1:39:00-1:41:14) drehte.
Den flackernden Traum-Eindruck der Bilder stellten sie dann in Wybornys Hamburger Wohnung her. Herzog brachte eine 35mm-Kamera mit, und zu zweit arbeiteten sie dann an den Details der Rückprojektion.
Obwohl er insofern die Traumsequenzen entscheidend mitgestaltet hatte, wollte Wyborny in den Titeln nur als zweiter Kameramann genannt werden.
Auf der Arthaus-DVD "Jeder für sich und Gott gegen alle" gibt es, parallel zum Film, als Audiokommentar ein Gespräch zwischen Laurens Straub und Werner Herzog, in dem Herzog auch die Zusammenarbeit mit Wyborny erläutert
(Zeitangaben Laufzeit auf der DVD):
0:00- 0:59 Der Anfang mit Cynthia Beatt
Herzog: Das fängt ja hier gleich ganz seltsam an mit Bildern, die mit dem Film direkt, mit der Story des Films direkt keine Verbindung haben. Das waren fast Rückerinnerungen und seltsame Bilder, wie wenn man zum ersten mal die Welt sieht, möglicherweise etwas, was sich im Gedächtnis Kaspars gespeichert hatte, der hatte ja doch vielleicht einmal als kleines Kind etwas von der Welt gesehen, man weiß das ja alles nicht genau, und das sind Dinge, die wir gedreht haben in Dinkelsbühl, hier, das ist einer der Stadttürme, und wichtig bei diesen Bildern war immer auch Klaus Wyborny, ein Experimentalfilmregiesseur, der in Hamburg lebt und dessen Filme mich sehr, sehr beeindruckt haben, später kommen viel deutlichere Sachen, die auf seine Arbeiten auch hinweisen ....
16:26-17:32
Herzog: ...
und jetzt auch wieder Bilder von Klaus Wyborny, das war gedreht mit einer Super 8 Kamera, bei der ein extremes Weitwinkelonjektiv drauf gesetzt war, vor ein Teleobjektiv, und das ergibt dann wieder eine Normaloptik sozusagen, aber da stimmt etwas nicht, die Farben ergeben keine klaren Ränder mehr, das sind ganz rätselhafte Farben von Bäumen und Landschaften, und da verdanke ich Klaus Wyborny sehr sehr viel. Das hat ja einen eigenen Charakter, und diese ganzen Dinge wurden eben nicht vom Kameramann Jörg Schmitt-Reitwein gedreht, sondern das haben dann Wyborny und ich gemacht - Straub: Es ist auch kürzlich von jemandem mit Arbeiten von Stanley Kubrick verglichen worden, wenn man denkt an 2001, wo auch experimentelle Teile drin sind von andern Leuten, und - Herzog: Ja, gut, von anderen Leuten, aber natürlich auch sehr stark mit mir zusammen entwickelt, man darf da nicht drum rum reden, der Klaus Wyborny hatte da eine ganz bedeutende Rolle drin und ich danke ihm heute noch auf den Knien dafür...,
1:08:58-1:10:00 (die Pagoden aus Burma wurden von Herzogs Bruder Lucky Stipetic auf 8mm gedreht und von Wyborny in seiner Hamburger Wohnung bearbeitet)
Herzog: Wir haben das dann gedreht, indem wir das auf eine Leinwand projiziert haben, die teilweise durchsichtig war, und auf der Gegenseite, auf der anderen Seite hatten wir eine 35 mm Kamera installiert, ganz nahe, das Bild war nur etwa die Größe einer Handfläche, und aus ganz knapper Entfernung haben wir das gedreht und das Geflicker kommt daher, dass die Laufgeschwindigkeiten nicht synchronisiert waren, es ist eins der schönsten Bilder in dem Film und Lucky Stipetic, also mein Bruder, der hat sich heute dran gewöhnt und findet das auch glaub ich ganz schön, also ich bin stolz dass etwas von meinem Bruder selbst in dem Film mitgedreht wurde ..
1:27:06-1:27:20
Herzog:
Das sind jetzt wieder Aufnahmen, die aus dem Rahmen herausfallen, das ist in Irland gedreht und auch wieder mit so aufeinandergesetzten Optiken, also mit Weitwinkeloptik mit einer Teleoptik zusammengesetzt, das ertragen die Bilder nicht wirklich, und das wiederum von einer Leinwand mit 35 mm abgefilmt. Also ein sehr seltsames Verfahren, das ich eigentlich sonst nirgends her kenne, Wyborny hat das entdeckt...
1:30:30-1:31:20
Herzog:
Das ist gedreht in Irland, westliches Irland, Croughpatrick, das ist der Heilige Berg, also auf dem der Heilige Patrick 40 Tage gefastet, gebetet und mit einem Engel gerungen hat, und jährlich am Tag des Heiligen Patrick steigen da sechzig, achtzigtausend irische Pilger auf diesen Berg hinauf, und wenn man ganz genau hinsieht, bemerkt man auch, dass die zum Teil Blue Jeans tragen, aber das nimmt eigentlich keiner der Zuschauer wahr, nur wenn mans weiß. und wenn man genau hinsieht weiß man das.
1:31:07-1:31:20 Heruog: Hier hab ich dann auch Bilder von einer anderen Jahreszeit mit hereingebracht, um einfach auch Zeitabläufe darzustellen
1:35:45-1:36:10 Herzog: Auch hier wieder ein Bild, das in einem amerikanischen Film oder im zeitgenössischen deutschen nie vorkommen würde, weil es keinen unmitttelbaren Handlungszusammenhang hat
1:39:00-1:41:14 (Kaspars Wüstentraum)
Herzog: ... und das ist jetzt gedreht in der damals spanischen Sahara, die sich ja durch die Polisario-Bewegung Unabhängigkeit verschaffen wollte. Als ich mit Wyborny da in der Wüste ankam, in El Aiun, dieser kleinen Hauptstadt, nicht nur eine Oase, genau an dem Tag kamen Flugzeuge aus Marokko im Tiefflug über uns weggebraust und der Krieg fing an, und wir haben das ganz schnell dann organisiert und ...