Klaus Wyborny

Denken mit Farocki: Der Krieg der Welten

Vortrag im Berliner "Haus der Kulturen der Welt" am 27. 2. 2015, nach dem Wybornys Installation "Der Krieg der Welten" in einer Projektion gezeigt wurde


 

"Denken mit Farocki" ist die heutige Veranstaltungsserie überschrieben. Was genau mag damit  gemeint sein? Schon die Frage "Was ist Denken" ist ja nicht einfach zu beantworten. Von praktischerer Natur ist die Frage nach dem "denken an": Ich kann zum Beispiel sagen: "Ich denke oft an Farocki." Schon seit 1970, seit er meinen Lebensweg erstmals kreuzte. Seitdem haben wir uns nie ganz aus den Augen verloren. Ich hab sein Werk ziemlich verfolgt und weiß, dass er die Mehrzahl meiner wichtigeren Arbeiten so differenziert zur Kenntnis nahm, dass wir darüber Sätze austauschen konnten. Ich dachte also oft an ihn und an seine spezielle Entwicklung, die also seines Lebens und an die des dabei entstehenden Werks. Und immer wieder trafen wir uns in unserer beider Bedürfnis, in unseren Filmen etwas wirklich Neues zu versuchen, also keinen Film in leicht veränderter Art bloß zu wiederholen. Insofern blieb er ebenfalls Avantgardist, der geradezu reflexhaft nach neuen Bildartikulationen suchte. Und dessen Augen sich sofort öffneten, sobald ihm ein neues Abbildungsmedium über den Weg lief. Dass dabei seine Augen mehr von Überwachungskameras und militärischen Bild-Erfassungssystemen angezogen wurde, mag mit seiner politischen Vergangenheit zu tun haben, mit der Geschichte des zerrütteten Deutschland. Aber zunehmend hatte er wohl das Gefühl, dass sich auch in zivilen Bildbearbeitungsprozeduren ein militanter Geist Geltung verschaffen wollte. Richtig ausgesprochen wird es zwar nicht, es gibt aber stets einen in diese Richtung zielenden würgenden Verdacht. Sieht man seine Filme über die weltstrukturierenden Designerwelten, meint man immer, darin würde sich schleichend etwas zum weit schlechteren wandeln. Dabei fragt man gern, wer oder was eigentlich die treibende Kraft dahinter sein mag. Ist es der Dämon der Geschichte, wie man als hegelgeschulter Marxist antworten möchte, richtig schlau wird man daraus trotzdem irgendwie nicht. Dass der Prozess zu einer gewissen Nivellierung der Weltoberfläche führt, das hat Farocki jedoch offenbar in einem Ausmaß gespürt, dass man in seinen Filmen allerorten Nietzsches durch Mark und Bein gehenden Ruf "Die Wüste wächst - Weh dem, der Wüste in sich hat" zu vernehmen meint.  Seine Vorliebe für etwas veraltete Produktionsmethoden, die dem Zuschauer in visueller Hinsicht interessantere Oberflächen bieten - sehr schön dargestellt in "Zum Vergleich" -, zeigt auch den vereinsamenden modernen Industriearbeiter in Relation zu gerade vergehenden, sympathisch vielgestalten Welten, die aber  - leider, leider -, trotz ihrer auf vielen Ebenen sympathischen Erscheinung, noch von Sklavenhaltermentalitäten durchzogen sind. 


Aber das ist schon Teil einer anderen Form von Reflektion, die man das Denken "über" das ästhetische Phänomen Farocki nennen könnte. Losgelöst von seiner Biografie, denkt man also über das Denken nach, das sich in seinen ästhetischen Produkten zu artikulieren scheint. Es ist ein Nachdenken über die Art wie er seine Filme baut, wie Motive aus einem Film in einem anderen aufgenommen und variiert werden, usw usw., und wenn ich die Struktur unserer Veranstaltungen hier richtig verstehe, ist diesem Themenkreis der morgige Tag gewidmet, so dass ich gleich zum "Denken mit Farocki" übergehen kann.


Aber wieder: Was genau mag das heißen? Dass man Farockis  Denken auf Kannibalenart inkorporiert, klingt angesichts der Komplexität seines Filmwerks vermessen. Man könnte natürlich einiges kopieren, das ist gar nicht mal schwer, weil er ja gern scheinbar simple Schnitttechniken zur Schau stellte. Aber durch dieses Kopieren nähert man sich ebensowenig Farockis Denken wie man durch das Kopieren eines van Goghs in den Sog der Denkstrukturen in van Goghs Gehirn gerät. Für einen Filmmacher, der an einem eigenen Werk arbeitet, ist solches Inkorpierieren ohnehin eher absurd, denn gewöhnlich verfolgt man ja Strategien, die die eigene Ästhetik immer weiter entwickeln. Und was man da tut, ist von einem gewissen Punkt an eher ein Abstoßungsprozess, bei dem man versucht, möglichst viel von dem loszuwerden, das die Klarheit der eigenen ästhetischen Vorstellungen stört. Trotzdem fließt natürlich manches Fremde ein. Und an Farocki ist immer wieder interessant, dass er zwar auch einer eigenen Ästhetik folgte - z.B. zielte er auf knappe klare Formen - dass er aber andererseits in seinen Filmen auch fremden, häufig sehr entlegenen  Ästhetiken Platz einräumte.


Am simpelsten ist dies vielleicht in seinem Film "Die führende Rolle" zu sehen, in dem er 1994 Nachrichtensendungen der DDR und des Westfernsehens untersucht, die sich mit dem sich auf der Straßen abspielenden Wiedervereinigungsgeschehen  befassen.


Samuel Fuller nannte die Spielfilmform nicht zu Unrecht ein Schlachtfeld von miteinander in Konflikt geratenden Emotionen. Obwohl Farocki in seinen Filmen für konventionelle narrative Strukturen nur peripheres Interesse aufbringt, ist zu beobachten, dass er auf der Leinwand ebenfalls oft Konflikte darzustellen versucht. Nicht direkt solche von Emotionen allerdings, vielmehr geht es um Konflikte von ästhetischen Konzepten, die durch extreme Wirklichkeiten an die Grenzen des ihnen Möglichen getrieben wurden. Programmatisch, auch vom Titel her, ist in diesem Zusammenhang ein Film wie der 1987 entstandene "Bilderkrieg", in dem er verschiedene, unter z.T. extremen Bedingungen aufgenommene  Frauenporträts miteinander vergleicht: zum einen brutale Polizeiphotos von sonst stets verschleierten Frauen im Algerienkrieg, dann Aufnahmen, die KZ-Wachmannschaften von in ihre Kameras lächelnden Lagerinsassinnen machten, und Aufnahmen von einer sich schminkenden Frau bei einem modernen Photoshooting.  Überhaupt ist der Vergleich - programmatisch in seinem 2009 entstandenen gleichnamigen Film über verschiedene Formen der Ziegelherstellung - ein entscheidender Bestandteil seiner Arbeit. Dabei geht er fast strukturalistisch vor - nichts ist einer Abbildung wert, wenn man es  nicht mit einer anderen Abbildung vergleichen kann. Ein häufiges Anwendungsfeld ist dabei die Gegenüberstellung von grafisch dargestellten Konzepten - oft an entscheidenden Stellen der bildgebenden Verfahren, die durch Computer ermöglicht wurden - und deren Konfrontation mit Bildern von Szenen aus der Wirklichkeit. Das hat, zum Bespiel im 2004 gemachten Film "Die Schöpfer der Einkaufswelten", oft Carl-Valentinhafte Töne.


Mit Farocki denken, kann jedenfalls heißen, dem Zuschauer eine filmische Bühne vor Augen zu führen, auf der ästhetische Konzepte an Grenzen und miteinander in Konflikt geraten.
Und letzten Sommer versuchte ich, für genau solche Konflikte ebenfalls eine Bühne zu bauen, und jetzt landen wir mitten in unserer "Mit Farocki denken"-Thematik  und was sie für die eigene Filmpraxis heißen könnte. Zunächst war mir gar nicht klar, dass ich mich dabei an Farocki orientierte, vielmehr ergab es sich aus meiner Beschäftigung mit Monet, und aus dem Spannungsfeld von dessen Werk mit dem von Gericault und Duchamp. Ich hatte Hans Hurch von der Viennale versprochen, bis zum Oktober aus dem Material, das ich dazu seit 1998 gesammelt hatte, einen Film fertig zu stellen, und ich fing damit kurz nach Haruns Tod im August an. Und nach einiger Zeit versuchte ich, meine Arbeit an diesem Film für eine Installation in sozusagen eine verknappte Summenform zu bekommen, die ich gleich zeigen werde. Denn bei dieser Summenbildung hab ich immer häufiger an Harun und seine Filme gedacht.   

    
Ich werde Ihnen also einen Krieg zwischen Kunstwerken vorführen, denn da jedes Kunstwerk eine ganz eigene Welt präsentiert, in der die Vergangenheit im Zeichen eines ästhetischen Forstschritts überwunden wird, kann man da tatsächlich von einem Bilderkrieg sprechen, wenn man so will, sogar von einem Krieg der Welten. Dabei ist die Bühne ein Strand an der Normandie, an dem Monet zwischen 1882 und 1895 etwa 150 Bilder gemalt hat. Auf der Bühne dieses Strandes treten Bilder von Gericault auf - als Vertreter, ließe sich sagen, eines die Details klar zum Ausdruck bringenden, den Menschen ins Zentrum des Interesses stellenden Realismus, der noch um 1820 aktuell war und in dem sich bis heute ein wesentliches Ideal der Filmfotografie darstellt. Der zweite Bühnenakteur ist Monet, jemand der, wie gesagt, an genau diesem Strand gemalt hat. Eine seiner Leistungen besteht darin, dass er den Menschen gewissermaßen verkleinerte und die sich ihm darbietende Wirklichkeit  - die ich naiv in klassisch realistischer Manier mit der Videokamera wiedergebe - in atmosphärische Eindrücke verwandelt hat, ein Kunststadium, das man üblicherweise mit dem Begriff Impressionismus verbindet und grob mit dem Jahr 1880 datieren kann.  Und der dritte Akteur - ebenfalls ein kühner Normanne - ist Duchamp, für den die Abbildung selbst - also nicht nur die von Menschen oder Landschaften, sondern auch das Abstrakte - so fragwürdig wurde, dass sie sich im kunsttheoretischen Sinne überholt hat, eine Kunstentwicklung deren radikale Formulierung in den zwanziger, dreißiger Jahren stattfand und in der Konzeptkunst der sechziger zu Dominanz gelangte. Für Duchamps Werk steht hier einer seiner berühmten Koffer, jener Boite-en-valise, zu deutsch Kasten im Koffer, in denen er sein Gesamtwerk kompakt in Miniaturform aufbewahrte, jeweils ein tragbares Museum seines Werks, in dem man heute einen  Vorläufer der  Notebooks erkennen kann, die nun unter Umständen ebenfalls unser Gesamtwerk zu enthalten vermögen. Wie haben also den Krieg dreier Epochen vorliegen.  1820 wird von 1880 in die Schranken gewiesen und schließlich von 1930 geradezu geschluckt, ein Prozess, der bis in die Gegenwart reicht und sich inzwischen auch auf Gebieten abspielt, die nicht unmittelbar mit Kunst zu tun haben. Denn es lässt sich ja beobachten, dass die Konzeptionalisierung der Kunst - auch das ist an einigen Farockifilmen zu beobachten -  inzwischen  die Planungssysteme ganzer Gesellschaftsoberflächen infiltriert  hat. Zwischendurch tauchen in dem gleich projizierten Film, in verballhornter  Form, einige Kernsätze des europäischen Denkens auf: die erwähnte Wüste Nitzsches, de Sades aufmunterndes: "Auf Franzosen, eine letzte Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt" und Gauguins versöhnendes Motto, das er in die Balken seines Hauses in Hiva Oa geschnitzt hat:  "Seid der Liebe zugewandt und ihr werdet glücklich sein."


An dieser Installation von besonderen Interesse ist eine von mir so genannte Duchamp-Maschine, die - jetzt folgt ein kurzer Exkurs ganz im Sinne von Haruns Film "Wie man sieht " - folgendermaßen entstand. Vor etlichen Jahren hab ich mit einer Kamera einige Minuten einen der legendären Duchampschen Koffer und seinen in einer Vitrine ausgebreiteten Inhalt umkreist. Die dabei entstanden Bilder  hab ich später freigestellt, wie es im Computerjargon heißt, also weitgehend vom Museumsraum befreit, in dem die Vitrine stand, und das Resultat wurde dann als kleines Objekt in unser Strandpanorama einkopiert. Da das Auge meine Umkreisung nicht mit einer Landschaftstotale in Übereinstimmung bringen kann, denkt man als Zuschauer, die Vitrine würde sich über dem Strand drehen. Sie wird also, wie sie entdecken werden, zu einer Art fliegender Untertasse. Und damit sind wir sofort in HG Wells legendärem "War of the Worlds", denn auch in dieser Installation sieht es nach einer Weile so aus, als würde eine fremdartige fliegende Untertasse versuchen, unsere Welt zu schlucken versuchen. Zu dieser verschluckten Welt  gehören zunächst  einige der Gemälde Gericaults, dann auch etliche hier gemalte Bilder Monets und am Ende die komplette von mir im realistischen Modus aufgenommene Landschaft, was, wie gesagt, die Welt zu einer Wüste macht. usw usw …


Das ganze wurde in dem Monat direkt nach Haruns Tod montiert und geschnitten, inclusive der am Schluss stehenden Widmung, es wurde dabei also dezidiert an Harun gedacht. Auch das Private spielte eine erhebliche Rolle, z.B. seine beiläufige Äußerung, dass sich die Welt in der Berliner Pfarrstraße, wo er wohnte, zum Schlechteren verändert habe, weil dort kaum noch Kinderstimmen zu vernehmen seien. Als er dort in den Neunzigern einzog, wimmelte es von Kindern. Das ist auch insofern interessant, als dass er offenbar immer auch an die Zukunft unserer Welt dachte, während ich selber mir inzwischen eine Art von spenglerschen Fatalismus angeeignet hatte, in dem ich von Europa nur noch erwartete, dass es, in befriedet sozialdemokratischer Erstarrung in spätantiker Manier wichtigtuerisch vor sich hin brabbelnd, auf die Ankunft der Barbaren wartet. Das lag  definitiv nicht in Haruns Denkperspektive, dafür war er - vielleicht durch seine frühe Kindheit, die ihn aus Nazi-Tschechien über Indien, Indonesien zunächst nach Hamburg in Hubert Fichtes "Palette" spülte - wohl zu sehr Weltbürger; kurzum, ihn interessierte nicht das Geschick Europas sondern das der ganzen Welt.    


Ok, so viel zur Einführung, viel Spaß also jetzt mit diesem nun nicht in einer unauffälligen Museumsinstallation, sondern stattdessen auf einer Riesenleinwand für Sie dargestellten "Krieg der Welten", der nicht ohne Anlehnung an Haruns Denken hätte entstehen können.


dazu als Ergänzung

E-mail Korrespondenz zwischen Klaus Wyborny und Harun Farocki 2000-2014