Hartmut Bitomsky
über "Der Ort der Handlung"
aus "Nachricht von Wybornys Filmen", Filmkritik 11 / 79, S. 486
... "Ort der Handlung" ist ein dreigeteilter Film, wobei der erste und dritte Teil in sich wiederum noch einmal geteilt sind. Am Anfang sieht und hört man eine Amerikanerin deutsche Worte einüben, die deutsche Sätze ergeben. Jedes Wort an einem anderen Schauplatz gesprochen, jede Einstellung an einem anderen Ort gedreht, viele Wörter, mehrere Sätze. Sie sind grammatisch korrekt wie unsinnig, aus Ionescos Berlitz-Schule.
Dann folgt eine Sequenz von Häuseraufnahmen. Einfamilienhäuser, Vorgärten, Dächer, Wohnblocks, Vorstadtstraßen. Die Bilder sind gegen den Horizont gekippt.
Im Mittelteil wird "Bartleby" von Melville nacherzählt. Das ist die allertraurigste Geschichte, ich mag sie nicht wiedergeben, man soll sie besorgen und lesen.
Es ist vielleicht auch gar keine Geschichte, sondern die Ohnmacht der Menschen gegen die Intrige, den Plot, das Sujet. Erzählt wird da ein Geschehen, in dem sich nichts ereignet, es gibt keine Handlung, und doch ist etwas passiert, die Verweigerung, Widerstand, Widersinn. Bartleby nimmt die Arbeit auf und legt sie wieder nieder.
Ich mußte an den anderen Tag denken. Die Schreibmaschine hallte duch die langen, leeren Flure. Eine Sekretärin, stellte ich mir vor, die am Samstag Nachmittag arbeitete, vielleicht Einsamkeit und Langeweile.
Die Geschichte wird im Englischen vorgelesen. Dazu kommen Bilder wie mit der nackten Glühbirne ausgeleuchtet. Es sind isolierte Einstellungen, arm und fremd, Graufilm dazwischen, Grau.
Im dritten Teil: ein Interview mit einem jungen Mann, der Lehrer werden wollte, den man aber nicht ließ, die Umkehrung und das Gleichnis von Bartleby. Der Neurologe, der Schulleiter, der Beamte, das Gericht haben ihn disqualifiziert.
Das Interview kommt nicht am Stück, es ist unterteilt, überschnitten, umgepfügt, in dieser Welt gibt es keine Zusammenhänge, vielleicht hat er recht.
Dann ist noch einmal das amerikanische Mädchen da. Sie sagt die Wörter und Sätze noch einmal auf, Sätze wie "Heute bleibe ich zu Hause" und "Heute scheint er nicht zur Arbeit zu gehen." Doch nun, nach alldem, was bis dahin im Film vorgefallen war, nun sind die Sätze nicht mehr absurd, nun läuten sie im Ohr.
Auch hier war die Kamera nicht im Lot. Der Horizont gekippt, und ich wünschte, die Welt würde auf der schiefen Ebene zum Bild hinausrutschen