Hartmut Bitomsky

über "Die Geburt der Nation"

aus "Nachricht von Wybornys Filmen", "Filmkritik" 10 / 79 - S. 485


... Klaus Wybornys "Birth of a Nation" geht auf Griffith zurück. Zu den Bildern gibt es einen Kommentar, der wie Zwischentitel funktioniert. Es sind Zwischentitel, die Raum und Zeit durcheinanderbringen, was manchmal ironisch ist, manchmal Kabarett.

Karthago liegt hier am Nil, indessen ist es eine Stadt in den USA. Bilder und Kommentar verdoppeln sich nicht, wie auch nicht bei Griffith, wo sie zwischen Tag und Nacht sind und dazwischen die Dämmerung.

An einer Stelle sagt der Film über die Leute, die sich im Film am Rande der tunesischen Wüste an einer Oase niedergelassen haben, daß sie die Sprache abschaffen wollten; und eine Zeitlang hätten sie nur noch mit Worten wie "love", "desire" und "yearning for eternity" miteinander verkehrt; schließlich nur noch mit den Vokalen dieser Worte; und dann wären sie ganz still gewesen; und währendessen ist eine sprudelnde Quelle zu sehen; als sei mit der Abschaffung der Sprache endlich das anwesend, was die Wörter bezeichnen sollen, Liebe, Begehren und das Verlangen nach Ewigkeit. Einen Moment lang mochte ich diesem Schweigen Glauben schenken, und das war ein gutes Gefühl, eine gute Energie, sie sollen das Leben auch regieren.

Als könne er etwas ungeschehen machen, geht Wyborny den Weg zu Griffith zurück, gründet die Nation ein zweites Mal und revidiert die Filmgeschichte. Und was passiert? Das Gegenteil. Das Nacheinander wird das Voreinander, der Grund wird die Wirkung, die Konsequenz die Ursache, Schuß-Gegenschuß wird Gegenschuß-Schuß, Schwarzweiß ist Farbe, Positiv ist Negatif und beides zusammen Solarisation.

Allen Verkehrungen entspringt aber die Narration aufs neue, kein Weg, der von Griffith wegführte. Daraum hat der Film einen zweiten Teil, gemacht aus den Resten des ersten: Anfänge und Enden der verwendeten Einstellungen, Auschnitte, das Negativmaterial - die Rückstände der Narration, nicht alles aufgebraucht und nicht alles beansprucht. Doch auch das verschmähte Material ist Film, auch das Negativ, auch die einzelnen Farbschichten auf dem Zelluloid, sie haben ein Recht auf Projektion

Der zweite Teil ist nicht nur der Gegensatz des ersten Teils; Wybornys 2001; er ist dessen Fortsetzung, mit den gleichen Mitteln.