K.Wyborny

Entwurf für Gedichte Lieder und Stücke

(später: "Aus dem Zeitalter des Übermuts")
c 1989

mit einem Anhang: 2 Entwürfe

sowie

ODE AN DEN SOMMER 74
und
24 MOMENTE (IN JEDER SEKUNDE)
(beide als Faksimile auf CD-Version im Ordner "Kleinere Arbeiten" oder in "Sonstige Aktivitäten")


 

1. GRUNDSTRUKTUR DES FILMS

 

"GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE" soll ein 16mm-Film werden und eine Länge zwischen 60 und 90 Minuten haben.

Das Grundprinzip des Films soll ähnlich dem eines Gedichtbandes sein: eine einigermaßen geordnete Aufeinanderfolge kleinerer in sich abgeschlossener Einheiten, die sich auf lockere Art gegenseitig ergänzen und so einer gewissen Lebens- und Denkweise zu Raum verhelfen.

Grundeinheit dieser Folge ist ein sogenanntes "Stück", eine Folge von Bildern, die sich an einer musikalischen Struktur orientiert, im einfachsten Falle an einem Klavierstück, dessen rhythmische Substanz es imitiert. Als "Stücke im engeren Sinne" sollen solche gelten, in denen keine "Worte" auftauchen, es handelt sich also um visuelle Darstellungen von sogenannter "Musik ohne Worte".

Ein "Lied" ist eine ähnliche Einheit, wobei gesungene oder gesprochene Worte hinzukommen.

Und ein "Gedicht" wiederum ist eine in sich abgeschlossene Bildfolge, bei der man keine Musik mehr hört, sondern nur noch gesprochene Worte.

Schließlich wird es noch eine andere Form "Stück" geben, welche sich am Wort "Theaterstück" orientiert und vielleicht als Dialogfolge im fertigen Film auftauchen wird.

Die Länge dieser Gedichte, Lieder und Stücke ist variabel, ihre typische Länge beträgt vielleicht 90 Sekunden, manche können 15 Sekunden dauern, manche 5 Minuten.


2. TEXTGRUNDLAGE

 

Grundlage des Films sollen zwei beigelegte Texte bilden, die ich 1974 für die Zeitschrift "BOA VISTA" geschrieben habe. "ODE AN DEN SOMMER 74" hat Ähnlichkeiten mit einem fünfstrophigen Gedicht. Es beschreibt eine Lebenshaltung, die sich ganz nett in dem Titelblatt des beigefügten Textes artikuliert, in der Pose eines Kämpfers, der bereit ist, sich den Herausforderungen der Welt zu stellen. Das Titelblatt des zweiten Textes "24 Momente (in jeder Sekunde)" verrät dagegen das Bemühen um einen analytischeren Zugang zu menschlichem Handeln. Der Text bietet die Karikatur einer wissenschaftlichen Hypothese über die Verbindung von menschlicher Wahrnehmung mit menschlicher Erfahrung.

Beide Texte sind nicht ganz Literatur, sie gehören, meine ich, zu einem Bereich, der grob mit Bekenntnisliteratur umschrieben wird, eine nicht ganz seltene Mixtur aufrichtiger, häufig von Verzweiflung geprägter Bekenntnisse und blanker Angeberei. Obwohl beide Texte Formwillen verraten, kommt mir dieser heute zu entschlossen und bekenntnishaft vor. Während die Ingredienzien der Texte einigermaßen korrekt zu sein scheinen, sieht man der Gesamtbalance die Unerfahrenheit mit den Bedingungen von Sprache aber allzu deutlich an.

Ist wirkliche Literatur so ausgewogen, daß ihre Verfilmung eine groteske Wertvermindung durch exzessiven Kapitalaufwand bedeutet, gibt es andererseits Texte, die man gewissenlos plündern kann, weil sie nicht die Balance der Endgültigkeit erreicht haben. Bei "ODE AN DEN SOMMER 74" und "24 MOMENTE (IN JEDER SEKUNDE)" handelt es sich um solche Texte. Der erste Schritt zur Herstellung von "GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE" soll eine rücksichtslose Plünderung sowohl der Ideen als auch der Gefühle sein, die in diesen Texten zum Ausdruck kommen wollen. Die sicherste Methode einer solchen Plünderung ist ihre gnadenlose Verfilmung, die sich rauspickt, was spektakulär ist und/oder mit den zur Verfügung stehenden Mitteln abbildbar erscheint und alles andere als unwesentlich unter den Tisch kehrt.

Auswahl und Stil der Verfilmung werden abhängig sein von dem endgültigen Produktionsrahmen. Unabhängig von der finanziellen Ausstattung wird durch die Textverfilmung eine Folge von mehr oder weniger zusammenhängenden Szenen mehr oder weniger realistischen Charakters erzeugt, die versuchen, ein gewisses Lebensgefühl in verschiedenen Facetten abzubilden - in der Gesamtform der "ODE AN DEN SOMMER 74" gar nicht einmal unähnlich.


3. ENORME ÄNDERUNGEN IN LETZTER MINUTE

 

So weit so gut. Ein solcher Film aus Kurzepisoden wäre sicher nicht uninteressant, und ich glaube, seine Herstellung liegt auch im Bereich meiner Möglichkeiten. Der Haken ist, daß ich einen solchen Film (der zum Beispiel den Titel "EIN TOLLER KERL MIT PROBLEMEN" haben könnte) nicht machen möchte, sondern einen anderen mit dem Titel "GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE", dessen Herstellung womöglich nicht mehr im Bereich meines Talents und meiner Möglichkeiten liegt.

Wollen und Können bilden natürlich getrennte Welten. Glücklicherweise bin ich jetzt - seit 1974 sind 5 Jahre vergangen - nicht mehr ein so fanatischer Anhänger der arabischen Arschabwischmethode, von welcher in der "Ode an den Sommer 74" die Rede ist, sondern eher Vertreter einer, sagen wir einmal ruhig: "norddeutschen Schichtmethode", welche nicht so sehr dem Moment verfallen ist, sondern eher einem geologischen Zeitmaß, in dem mehrere Wahrnehmungs- und Erfahrungsschichten übereinander geschichtet und schließlich miteinander verfaltet werden. Mein Interesse gilt also nicht mehr so sehr dem individuellen Scheißhaufen als vielmehr der errichteten Komplexität eines Gebirgszuges.

Ich habe feststellen müssen, daß die Errichtung solcher Gebirgzüge (die natürlich Bewußtheit abbilden sollen) eine außerordentlich mühselige Angelegenheit ist, für mich jedenfalls, bei welcher ein ganzheitlicher Entwurf fast unweigerlich zu einer Art undurchsichtiger "geologischer Suppe" führt (den "24 MOMENTEN (IN JEDER SEKUNDE)" gar nicht so unähnlich), deren Diffusität den Glauben an die eigenen Schaffensmöglichkeiten doch sehr enttäuscht.

Um diese Enttäuschung zu nutzen oder sie zumindest zu reduzieren, habe ich mir eine schichtweise vorgehende Arbeitsweise angewöhnt, in deren Verlauf ein Film sich nicht unbedingt zielstrebig in Richtung auf ein angestrebtes Ideal zubewegt, sondern eher durch das Hinzunehmen von neuen Elementen und Wahrnehmungsebenen sehr lange wächst, bevor die endgültige Konzentration auf das fertige Produkt erfolgt. Der Prozeß ähnelt nicht so sehr der Bildhauerei, bei der, wie ich meine, ein großes, ein unfertiges Volumen (der Grobschnitt) allmählich auf ein kleineres fertiges (den Fein- und Feinstschnitt) reduziert wird, sondern eher dem Malprozess, bei welchem dem Bild in jedem neuen Arbeitsgang neue Elemente hinzugefügt werden, und vor allem (das ist sehr wichtig) alle bis dahin entstandenen Elemente bei einem neuen Arbeitsgang weitgehend disponibel bleiben. Es ist also nicht ein Arbeitsprozeß gemeint, der das Bild immer mehr füllt (im Sinne eines Fortschreiten des Bildes von der Grundierung über die Skizze zum Ausfüllen der Flächen und einer immer feineren Ausmalung der Details bis zur abschließenden Lackierung), wesentlich ist vielmehr ein ganzheitlich operierendes Arbeiten, das paradoxerweise oft gegen Ende noch einmal die größten Änderungen verlangt (einem Buchtitel von Grace Paley entsprechend: "Enormous changes in the last minute"), so daß von Frühstadien der Arbeit häufig kaum noch was übrig bleibt.

Im Prinzip kommt es also zunächst darauf an, möglichst zügig ein Erscheinungsbild zu erzeugen, das den Charakter der möglichen Fertigkeit hat, um anschließend die eigene Enttäuschung über das provisorisch fertige Produkt in eine Umstrukturierung zu verwandeln, die erneut eine mögliche Fertigkeit produziert, und so weiter. Daß das nicht im Sinne von mathematischer Grenzwertbildung in zunehmend kleineren Schritten erfolgt, hat mit einer gewissen künstlerischen Grunddisposition zu tun, die gerade den Zustand der Niederlage sucht, den Punkt, an dem man mit den Rezepten, die man für sich erarbeitet hat, nicht weiterkommt. Die wesentliche künstlerische Leistung besteht oft darin, diesen Zustand der Enttäuschung in etwas anderes zu verwandeln, etwas schwer Beschreibbares, was aber fast immer damit zu tun hat, daß man die eigene künstlerische Identität zu retten versteht. Mag sein, daß darin eine der Wurzeln für die im wesentlichen optimistische Aura von Kunst liegt. Schließlich geht es nicht darum, der Niederlage durch eine Folge kleinerer kosmetischer Korrekturen ein gewisses Maß von Erträglichkeit zu geben, sondern eher um die erwähnten "enormen Änderungen in letzter Minute", die plötzlich ein ganz anderes Erscheinungsbild offenbaren, und gelegentlich sogar eine neue, "wahrere" Sicht der Wirklichkeit einleiten.



4. GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE

 

In diesem Sinne soll mit der "Verfilmung" der beiden Texte eine Grundlage geschaffen werden, deren Ausführung mit großer Wahrscheinlichkeit in ein Gefühl von subjektiver Niederlage einmündet. Im Tonfall der Texte kann man ohnehin schon den Keim dieser Niederlage erkennen, ganz deutlich wird sie im anekdotischen Charakter der beschriebenen Ereignisse, durch den sie beinahe automatisch zum Stellvertreter für etwas anderes, nicht ausgesprochenes werden. Unausgesprochene Voraussetzung einer solchen Stellvertreterkonstruktion ist ein unerschütterlicher (oder naiver) Glaube an die kausale Solidität der menschlichen Welt. Da ich über diesen nicht verfüge, ist die Niederlage auf beinahe langweilige Art vorhersehbar. Erst in der allmähliche Transformation der Verfilmung in etwas anderes, die "GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE" nämlich, in denen das Erleben sich mit Formungswillen verknüpft, wird der Film Substanz bekommen.

Hier geraten wir in den eher heiklen Bereich bei der Darstellung dieses Projekts. Zum einen kann ich nicht einmal mir selbst garantieren, daß meine Formfähigkeit ausreichen wird, eine Folge von Gedichten, Liedern und Stücken innerhalb eines akzeptablen Zeitraums in wunderbarer Qualität zu erzeugen. Andererseits bin ich mir halbwegs sicher, daß ich eine akzeptable Qualität zustande kriege. Und dann kann ich nur hoffen, daß einige der "enormen Änderungen in letzter Minute" dem Film helfen werden, wenigstens ein paarmal das Maß des Akzeptablen zu überschreiten, so daß er ein wenig mehr wird, als eine bloße Darstellung menschlicher Intelligenz.

Der andere, noch heiklere Bereich, liegt in der, wie ich sagte, beinahe langweiligen Gewißheit der Niederlage bei der Verfilmung des Ausgangstextes. Der naheliegende Gedanke wäre deshalb, ganz auf ihn zu verzichten, und sich von Anfang an auf die Herstellung einer Reihe von Gedichten, Liedern und Stücken zu konzentrieren, ganz ohne den Umweg über den Ausgangstext. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Die Schwierigkeit besteht zunächst einmal darin, daß es sehr schwer ist, zu sagen: "Ich will einen Gedichtband schreiben." Man kann zwar leicht sagen: "Ich will ein Gedicht schreiben", aber ein Gedichtband ist eine Versammlung einzelner Entschlüsse, jeweils ein oder mehrere Gedichte zu schreiben. Es handelt sich in der Regel um einen langwierigen Prozeß, der sehr abhängig vom Erfolg der einzelnen Arbeitsstücke ist. Weder Gelingen, noch Abschluß sind dabei planbar.

Möchte man mit Film ähnlich arbeiten, verschärfen sich diese Schwierigkeiten. Mein Wunsch, erstmal einen Text zu verfilmen, verrät den Wunsch, erst einmal einen Grundkörper zu schaffen, den man anschließend modellieren kann. Die übliche Form der Filmproduktion im erzählenden Modus ist so arbeitsteilig und organisationsbetont, daß sie den Grundprinzipien des Gedichtemachens widerspricht.

Andererseits habe ich mich in letzter Zeit vor allem einer Filmform gewidmet, die ich "musikalisch-rhythmisch" nenne und bei der die Arbeit eher derjenigen mit einem Blatt Papier ähnelt. Diese Arbeitsweise hat Stärken und Schwächen, doch auch hier führen die Schwächen zu dem Wunsch, zunächst einmal einen verfilmten Korpus vorliegen zu haben.

Bei dieser Arbeitsweise muß man sich auf Bilder von Ereignissen beschränken, die auch ohne einen existieren (ein Sonnenuntergang am Meer beispielsweise). Begibt man sich in derartige, unabhängig von einem existierende Situationen, lassen sich dort Bildfolgen herstellen, die sowohl etwas von den Situationen enthalten, als auch von dem eigenen Verhältnis zu ihnen; als auch vom eigenen Verhältnis zur Abbildung dieser Situation, als auch vom eigenen Verhältnis zur Abbildung einer solchen Situation durch andere Personen oder zu anderen Zeiten, usw., usw., mit anderen Worten, es läßt sich in solchen Bildfolgen ein ganzer Kosmos menschlicher Erfahrung beim Betrachten von Wirklichkeit einfangen und zuweilen sogar darstellen. Die Ähnlichkeit zur Arbeit auf einem Blatt Papier besteht im relativ geringen Aufwand: da die Situation unabhängig von einem existiert, braucht man sie nicht zu inszenieren, der Aufwand reduziert sich auf die eigene Anstrengung.

In der italienischen Literatur gab es um die Jahrhundertwende eine Richtung, die sich, glaube ich, "Crepusculismus" nannte, was ihre Feinde bösartig mit "Abenddämmerungsfanatismus" übersetzten. Am reinsten artikuliert sich der positive Aspekt daran vermutlich in der impressionistischen Herangehensweise an Wirklichkeit, die am verständlichsten mit dem Namen Monet verbunden ist. Gegen diesen "Crepusculismus" formierte sich kurz darauf der Futurismus als Fanatismus mit entgegengesetztem Vorzeichen. Beide basieren jedoch darauf, daß man meint, die Welt wäre dazu da, daß man sie betrachtet. Interessant ist nun, daß man bei der Abbildung von Situationen, die unabhängig von einem existieren, diese Grundhaltung beinahe automatisch reproduziert, daß man also das Gesehene in das Spannungsfeld zwischen lyrischer Intensität und futuristischer Feier bzw. Befürchtung einzuordnen versucht - vielleicht weil einem nichts anderes einfällt. Vielleicht aber auch weil solche von einem unabhängigen Ereignisse ohnehin nur durch Ideologien hierarchisch zu strukturieren sind, durch die Elimination also der individuellen Wahrnehmung, und daß nur das Beharren auf der Oberflächlichkeit der Welt einen vor der ideologischen Vereinnahmung schützt.

In "11 STÜCKE AUF FILM" (jetzt: "Gnade und Dinge", 70 Min, 1985) habe ich versucht, eine Reihe von solchen unabhängig von mir existierenden Ereignissen abzubilden, die mich ansprachen. Im fertigen Film sind beispielsweise Spielplätze zu sehen, Parks, Kanäle, Straßenkreuzungen und eine Reihe anderer merkwürdiger Orte, die mich zu einer Abbildung reizten. Beim Drehen stellte sich heraus, daß ich die Arbeit nur durchzuhalten vermochte, wenn ich sie durch eine Überschneidung mit meiner Biographie sentimentalisierte. So gibt es in dem fertigen Film wohl einige Orte, zu denen ich real keinen tieferen Bezug hatte (nach dem Motto "Hier stehe ich und kann nicht anders als mir darüber Gedanken zu machen"), aber es gibt in ihm auch solche, an die ich eine spezifische Erinnerung hatte, die Sequenz mit der Schaukel zum Beispiel: Es handelt sich um genau die Schaukel, auf der ich ein paarmal als Kind geschaukelt habe. In der Mehrzahl handelt es sich aber um einen dritten Typ Ort. Dieser dritte Typ ist, obwohl nicht selbst Ort einer Erinnerung, Stellvertreter eines solches Ortes, weil er mich eben an einen solchen Ort erinnerte. Besonders dieser dritte Typ wurde mir wichtig, weil ich offenbar nur an ihm eine gewisse lyrische Intensität der Abbildung erreichen konnte, ohne die der Film sehr blaß geblieben wäre.

Daß der Zuschauer von meinen Verwicklungen in diese Orte nichts weiß, ist in diesem Zusammenhang kaum wichtig, weil sich ihm doch die Intensität der Abbildung überträgt und er sie auf seine eigenen Verwicklungen in ähnliche Örtlichkeiten projizieren kann. Was mich heute stört, ist eine gewisse Schlappheit des Voranschreitens der Stücke: es ist mir nicht gelungen, ihnen Richtung zu geben, sie bewegen sich um die Erinnerung immer wie um einen heißen Brei herum. Bei den meisten literarischen Gedichten hat man ein deutliches Gefühl vom Gerichtetsein der Gedanken, die mit dem Gerichtetsein von Sprache selbst zu tun hat. Bei Bildfolgen dagegen merkt man, daß sich bei ihnen schnell die Richtung verliert und zu einem vagen Herumkreisen wird. Solches Herumkreisen hat natürlich auch eine gewisse Qualität, schon weil sich bei seinem Betrachten eine originelle Gedanklichkeit entwickeln kann. Diese ist jedoch merkwürdig vage, sie ist ungerichtet, hochgradig assoziativ und unzuverlässig, beinahe, könnte man wieder zu ihrer Feier sagen: wie das Denken selbst. Der Gesamteindruck ist jedenfalls einer der Defensive, er vermittelt das Weltbild einer kleinen Person - so richtig mir diese Haltung im Detail vorkommt, so künstlich ist sie doch in ihrer Ausschließlichkeit.

Ich würde jedenfalls in dem neuen Film mehr gerichtete Gedanklichkeit haben wollen, mehr von dem Gefühl der Großartigkeit, mit welcher man die eigene Person nicht nur zuweilen umgibt, wie unberechtigt dieses Gefühl auch immer sein mag. Es ist klar, daß durch die direkte Einführung von Sprache (Gedichte, Lieder) eine Menge gewonnen werden kann, andererseits kann das Erkennen der strukturellen Beliebigkeit einer Voice-Over-Erzählung den Gewinn wieder zunichte machen. Wahrscheinlich führt kein Weg daran vorbei, ein aktives Eingreifen in die Wirklichkeit abzubilden. Das meine ich nicht in dem Sinne, daß "man die Kamera immer dabei" hat, wenn etwas passiert; solche Vorgehensweise halte ich bezogen auf meine eigene Person für eher neurotisch, sondern mehr in dem Sinne, in dem man ein Ereignis in Sprache erinnert. Dabei stellt man ja nicht das Ereignis selbst wieder her, sondern man verwandelt gewisse Wesentlichkeiten des Erlebens in Wortfolgen und gelangt so zu einer gerichteten Gedanklichkeit.

Etwas ähnliches stelle ich mir für Bilder vor, daß man also auch da eine Verknüpfung von Erinnerung und Bildern schafft. Aber nicht einfach so, daß der vergangene Moment "realistisch" rekonstruiert wird, wie das im Spielfilm versucht wird, sondern so, daß man in jedem Augenblick weiß, daß man es mit einer komplizierten Mischung von Erinnerung und ihrer bildlichen Codierung zu tun hat, welche Vergangenheit ist und auch wieder nicht, und genauso Gegenwart und nicht Gegenwart.

Da das meiste, was unsere Erinnerung besetzt, mit Personen zu tun hat, wird man wohl auch kleinere Szenen inszenieren müssen. Das bedeutet erneut eine dramatische Änderung der Arbeitsweise, weil man nicht mehr eine gegebene Situation einfach beobachten und abbilden kann, sondern diese Situation erzeugen muß. Das verlangt nach einer mit anderen Personen koordinierten, organisationsbetonten Arbeitsweise, die dem eher vorwärtstastenden Charakter von Gedichten, Liedern und Stücken beinahe entgegengesetzt ist - sowohl von der gedanklichen Substanz als auch vom finanziellen Einsatz her. Aus dieser Widersprüchlichkeit erklärt sich das vielleicht merkwürdig anmutende Grundkonzept dieses Films. Ich möchte die Resultate von zwei Arbeitsweisen vereinen, die nicht beide gleichzeitig zu haben sind.

Vielleicht ist das zu kompliziert, um wirklich begreifbar sein, vielleicht wird das anvisierte Resultat um so unfaßbarer, je genauer man es beschreiben möchte. Was klar sein sollte, ist die Vorgehensweise: ich möchte ausgehen von den Texten, die bestimmte Erinnerungswerte enthalten. Die werden als erstes in einer koordinierten Produktionsanstrengung "verfilmt", wobei der "Stil" dieser Verfilmung sich von einer "realistischen" Erzählung bis zum nackten off-Kommentar über merkwürdigen Bildern erstreckt.

Das so entstandene Bildmaterial wird geschnitten und auf seine "Brauchbarkeit" hin untersucht. Anschließend werden neue, weniger aufwendige Sachen gedreht, die in die "verfilmten Bereiche" eingefügt werden und dem Film allmählich eine andere Oberfläche verleihen, eine auf jeden Fall nicht im "realistischen" Modus arbeitende. Und endlich möchte ich versuchen, das entstandene Produkt noch einmal so energisch aufzubrechen, daß es etwas mit dem Titel "GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE" zu tun hat, daß man also beim Anschauen eher eine Vorstellung von Gestaltungswillen im Umgang mit Erinnerung bekommt als von den Ereignissen der Erinnerung selbst, daß man also nicht dem Eindruck erliegt, es gehe um eine Abbildung der dargestellten Szenen (weil ihnen zum Beispiel eine wie auch immer geartete moralische Botschaft innewohnt), sondern daß man deutlich das Gefühl hat, einem Prozeß beizuwohnen, in dem Erinnerung sich in gerichtete Gedanklichkeit verwandelt. Und schließlich hoffe ich, daß am Ende durch einige Änderungen in letzter Minute noch der Gesamteindruck entsteht, der das eigentliche Ziel dieser Bemühungen sein soll, eine frohe Form und Botschaft, die jedem und auch mir beim Anschauen des Films so klar werden, daß man sich fragt, wieso eigentlich so viele Umwege nötig waren, um zu ihnen zu gelangen.


Anhang I


GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE (1. Entwurf, abgebrochen)

Entwurf für einen Film von 60 bis 90 Minuten Länge

1. Grundstruktur

Das Grundprinzip soll ähnlich dem eines Gedichtbandes sein: eine einigermaßen geordnete Aufeinanderfolge von kleineren in sich abgeschlossenen Einheiten, die sich auf lockere Art gegenseitig ergänzen und so einer gewissen Lebens- und Denkweise zu Raum verhelfen.

Grundeinheit dieser Folge ist ein sogenanntes "Stück", eine Folge von Bildern, die sich an einer musikalischen Struktur orientiert, im einfachsten Falle vielleicht an einem Klavierstück, dessen rhythmische Substanz sie imitiert. Als ein solches "Stück im engeren Sinne" soll im Film ein Stück mit Film und Musik gelten, in dem keine "Worte" auftauchen.

Ein "Lied" ist eine ähnliche Einheit, wobei zusätzlich noch gesungene oder gesprochene Worte kommen.

Und ein "Gedicht" wiederum ist eine Folge von Bildern, bei dem man keine Musik mehr hört, sondern nur noch gesprochene Worte.

Schließlich wird es noch eine andere Form von "Stück" geben, eine, die sich am Wort "Theaterstück" orientiert und vielleicht als eine Dialogfolge im fertigen Film auftauchen wird.

Die Länge dieser Gedichte, Lieder und Stücke ist variabel, eine typische Länge ist vielleicht 90 Sekunden, aber ein einzelnes Stück kann auch nur 15 Sekunden dauern, oder auch 5 Minuten.



2. Struktur der Bilder und der Zuschauer

Grundeinheit der Stücke wiederum ist die "Einstellung", und hier werden vor allem solche auftauchen, bei denen der photographische Abbildungsmechanismus der Kamera "konventionell" genutzt wird, was heißen soll, daß auf den Bildern offensichtlich Teile einer vorhandenen oder inszenierten Wirklichkeit zu erkennen und im Regelfall auch zu benennen sind. Auf der anderen Seite sollen die "realistischen" Valeurs dieser Einstellungen nicht soweit betont werden, daß von einer Identität von Bild und Wirklichkeit im Sinne einer "objektiven" Abbildung geredet werden kann, es soll im Gegenteil sofort und deutlich zu erkennen sein, daß zwischen der Wirklichkeit und dem Bild noch eine andere Instanz operiert, die Instanz des Abbildenden, einer Person, die entscheidet, welche Teile der Wirklichkeit wie und in welcher Länge abgebildet werden, und die eine so starke Präsenz hat, daß die Einstellungen nicht nur Abbildungen der abgebildeten Wirklichkeit sind, sondern nachdrücklich Abbildungen der "Einstellung" dieser Person zur Wirklichkeit, und stärker noch, Abbildungen des Verhältnisses dieser Person zum Abbildungsprozeß selbst.

Eine solche Beschreibung des Abbildungsprozesses ist nichts neues, sie ist im Prinzip jedem, der den photographischen Prozeß analytisch zerlegt, vertraut, und das umso mehr, je mehr einem als Vergleichsstruktur die Kategorien der Abbildung bei der gegenständlichen Malerei vor Augen stehen. Durch die ungeheure Leichtigkeit der perspektivischen Abbildung im photographischen Prozeß werden die Verhältnisse allerdings stark verschleiert, und so tritt an die Stelle des Künstlers, dessen Sicht Motiv und Darstellung bestimmt, leicht der Fachmann, der versucht, eine gewisse "Qualität" der Abbildung zu garantieren, um ein gewisses von vorherein klares Verständnis von dem, was ein gutes Photo ist, zu erzielen. (Man kann das vielleicht sogar verschärfen, indem man die Instanz des Fachmanns, des "Professionals", ins Zentrum einer kollektiven Verschwörung setzt, deren Ziel die Entpersönlichung des Abbildungsprozesses ist.)

GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE möchte jedenfalls nicht Teil dieser Verschwörung sein, zu keinem Zeitpunkt soll vertuscht werden, daß hinter dem Abbildungsprozeß eine Person steckt, deren Befindlichkeit Gegenstand des Filmes ist. Das wird sich schon in einer exzentrischen Motivwahl bei den Bildern äußern (Bilder, deren Inhalt als "merkwürdig" oder auch "uninteressant" gilt), und stärker noch in der Art der Abbildung (eigenartiger Bildaufbau, Dezentralisierung der Interessantheit, schräge Kamera, Farbfilter). Nie jedenfalls soll der Eindruck entstehen, daß hier ein Fachmann souverän über der Wirklichkeit thront, es soll viel eher eine Verwirrtheit abgebildet werden, das Umfeld einer verwirrten Existenz, die versucht, einen Weg zu finden.

Wer nun ist diese Person, deren Subjektivität und Verwirrtheit aus den Bildern sprechen soll? Der naheliegende Verdächtige bin natürlich ich selbst, und im Zweifelsfalle würde ich das auch unterschreiben, als erste Näherung sozusagen, mit der man das bisher Gesagte mühelos verstehen, akzeptieren und einordnen kann. Das so errichtete Gebäude bricht aber sofort zusammen, sobald man diesen Begriff des "Ich selbst" genauer fassen möchte. Wer ist "ICH SELBST"?
Genau genommen stellt sich diese Frage doppelt. Zunächst für "mich selbst", und es ist klar, daß eine Aufgabe des Films darin bestehen wird, um diese Frage herum eine Art Schwebezustand zu erzeugen, in dem sich (zumindest während der Vorführzeit) eine idealisierte und möglicherweise verallgemeinerbare Vorstellung von "Ich selbst" aufhalten kann.

Dieser Teil der Fragestellung ist schon unbeantwortbar genug, aber die Frage stellt sich noch schärfer für den Betrachter des Films, der, beiläufig im Kinosessel sitzend, zwar dieses wie auch immer gestaltete "Ich selbst" als Projektion angeboten bekommt, es aber mühelos in das Gestammel eines "Dieser-da" verwandelt, und es in einer Fremdheit beläßt, die in einer Reihe von soziolologischen und psychoanalytischen Wertungen begreifbar als interessantes Dokument einer Verstörung gerade noch gelten mag.

Es ist klar, daß Wichtiges da beginnt, wo sich die Hülle um den Begriff dieses "Dieser da" auflöst, und beim Betrachten etwas entsteht, das eine Mixtur aus dem "Ich selbst" des Betrachters und dem "Ich selbst" des Filmmachers ist. Und das geht weit über den netten Satz hinaus, daß man sich bei einer gewissen Bereitwilligkeit als Zuschauer in dem Produkt zum Teil wiederentdecken kann. Tatsächlich findet eine Art Kannibalismus statt, bei der man als Betrachter das Produkt sozusagen frißt, und damit beginnt, die Ansichten des Autors für die eigenen zu halten, um ihn sich schließlich ganz einzuverleiben. Gelingt einem das mühelos von Anfang bis Ende, so redet man von gutgemachtem Schund. Interessant ist der Zwischenbereich, dort wo sich die Fremdheit aufzulösen beginnt, andererseits aber die Einverleibung noch nicht vollständig ist.

Dieser Bereich ist allerdings nicht nur abhängig von der Struktur des Produktes, sondern ebenso von der des Betrachters. Banal ist die Feststellung, daß man fressen können muß, um sich etwas einzuverleiben, geheimnisvoller ist der Respekt vor der anderen Grenze. Dort geht es um das Erkennen, daß da etwas ist, was nicht die eigene Ansicht ist, ein Bereich von Fremdheit, den man nicht einfach verschlingen und zum Teil seiner selbst machen kann. Die Fähigkeit, beim Auftauchen einer solchen Fremdheit über die primären Ablehnungs- oder Abwertungsreflexe hinauszugehen, macht den akzeptablen Betrachter aus. Ohne ihn gibt es kein Kunstwerk.

Nun soll dies die Darstellung eines Filmprojekts mit dem Titel "GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE" sein, und die Entfernung des bisher Gesagten von der Beschreibung eines konkreten Filmes scheint beträchtlich. Andererseits erkennt man als potentiell akzeptabler Betrachter eines Films mit diesem Titel sofort, daß eine vorherige Beschreibung der Oberfläche eines solchen Films ziemlich unmöglich ist. Wenn man einen Gedichtband schreibt, kann man in den seltensten Fällen vorher sagen, wie die Gedichte aussehen werden, man kann nicht einmal sagen, was das Motivmaterial sein wird. Gedichte existieren überhaupt nicht, bevor sie einigermaßen fertig sind, es existiert nur der Dichter, seine Art zu denken, und vielleicht seine Absicht, ein Gedicht oder eine Folge von Gedichten zu schreiben. Bei einem Film, dessen Einheiten eine gewisse Ähnlichkeit mit Gedichten haben soll, gilt das Gleiche. Über seine einzelnen Stücke läßt sich eigentlich nichts sagen, bevor sie einigermaßen fertig sind. Ich könnte nicht einmal bei den gedichtartigen Stücken die Gedichte angeben, denn es geht nicht darum, Gedichte zu verfilmen, sondern darum Einheiten zu schaffen, in denen Bild und Wort zu etwas anderem verschmelzen, und wieweit das geht oder nicht kann sich nur im Einzelfall entscheiden. Entscheidend ist eben, daß sich in diesen Stücken Denken aufhält, das sich womöglich anders nicht ausdrücken kann.

Schon gar nicht geht es darum, ein Rezept für die Herstellung solcher Stücke zu entwickeln, wesentlich ist vielmehr die Entwicklung eines Wechselspiel zwischen mir als Autor und der Wahrnehmung eines akzeptablen Zuschauers. Ich hoffe, daß dieser Begriff des akzeptablen Zuschauers inzwischen einigermaßen klar ist, es ist auf jeden Fall nicht der sogenannte durchschnittliche Zuschauer, auf den Film üblicherweise zielt, der ist der Typ des Allesverschlingers, der gleichzeitig absolut allergisch reagiert, wenn er auf Fremdes stößt. Und es ist nicht der ideale Zuschauer, also einer, der alles versteht und jede Nuance richtig zu deuten weiß, es ist jemand der den Bereich, in dem sich Fremdheit artikuliert, zu respektieren weiß, ohne sie abzulehnen oder abzuwerten, vielleicht weil er spürt, daß in dieser Fremdheit der Keim einer Vertrautheit liegt, in der man Antwort findet auf eigene Fragen, vielleicht nicht einmal so sehr nach dem "Was bin ich?" (da fühlt man sich in seiner Ablehnung einigermaßen sicher), als vielmehr zu dem "Was werde ich sein?"

Auf jeden Fall ist auch dieser akzeptable Zuschauer hypothetisch, und nichts als eine Fiktion des Autors, aber eine, mit der er einen tatsächlichen Dialog bei beim Schaffensprozeß führt, der ihn vielleicht verbindlicher werden läßt an Stellen, wo er vielleicht glaubt, daß nur extremste Schroffheit und Verschlossenheit womöglich der Wahrheit entsprechen könnten, oder auch eine Instanz des guten Geschmacks, die den eigenen Sinn für Kitsch in Grenzen hält. Ganz sicher ist in ihm auch das Ensemble aller anderen Autoren enthalten, die er schätzt und verehrt, und das "akzeptabel" bezieht sich zum großen Teil auch darauf, daß man von diesem großen Kollektivautor für sein eigenes Produkt nur mäßiges Interesse erwarten darf, aber schon um dieses mäßige Interesse nicht zu enttäuschen, bedarf es einer eigentlich nicht zu leistenden Anstrengung.

Jeder Autor produziert so einen akzeptablen Zuschauer, seine Hervorbringung ist Teil des künstlerischen Prozesses. Rückkopplungen mit realen Zuschauern können in Intensität und Qualität diesem beim Arbeiten wirkenden inneren Dialog meistens nicht standhalten, so daß selbst exzessives Lob häufig nur enttäuschend wirkt.


3. Das Aufeinanderfolgen der Bilder und ihre Wahrnehmung

 

Diese drei Wertigkeiten bilden die wesentliche Substanz der einzelnen Einstellungen, und die Bestimmung ihrer Balance wird zu den wichtigsten Botschaften des fertigen Films gehören. Eine solche Auffassung des Abbildungsprozesses ...

- abgebrochen



Anhang 2

 

ERSTE ENTWURFSSKIZZE April 89

13/4/89

Eine Disposition herbeiführen, in der das Herstellen gedichtähnlicher Filme möglich ist

Wenig erforscht ist dabei schon viel zu viel gesagt, nicht einmal versucht.

Anders: In Lyrik hat man drei Zeiten, bei Malerei und Musik nur eine, mehr oder weniger die Gegenwart, deshalb kommt auch imaginistische Lyrik nie über ein paar Zeilen hinaus.

Denn im Gegensatz zu dem, was oft geschrieben wird, ist Film ganz bestimmt keine Sprache. Es fehlen prinzipielle Voraussetzungen: zB das Wort NEIN, das in jeder Sprache existiert, kann nur als "Nein" dargestellt werden, also als eine Person, die das Wort "Nein" ausspricht. Ebenso gibt es keine Unterscheidungsmöglichkeit für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, oder wenn, dann wieder nur als "Vergangenheit", die ein Sprecher als solche einführt. Und dann gibt es nicht einmal das Wort ICH, oder gar das DU, zur Verfügung steht nur die irgendwie strukturierte Dritte Person, und so ist es nicht einmal möglich, einen Satz wie ICH LIEBE DICH in Filmbildern auszudrücken, ein Satz, der sich trotz aller Übersetzungsschwierigkeiten mühelos in alle Sprachen der Welt übersetzen läßt, und wieder gibt es im Film nur das "Ich liebe Dich".

Deshalb kann es durchaus sein, daß höchstens eine imagistische Gedichtform in Bildern möglich ist, mit einer musikähnlichen Struktur, die zwar Rhythmus und Wortfluß hat, die aber vergebens um einen höherwertigen Zusammenhang kämpft und immer in Behauptungen endet.

Ich möchte also versuchen, diese Skala von Musikstück zu Gedicht in diesem Filmvorhaben so weit wie möglich in Richtung Film zu strecken, indem ich mit Kommentaren und Worten so direkt an den Bildern dranbleiben möchte, daß vielleicht doch so etwas wie ein Sprachgefüge entsteht, etwas mehr eben als "Ich liebe dich", vielleicht etwas mit nur einem Anführungsstrich: "ICH LIEBE DICH, daß man also den zweiten sozusagen vergißt.

Im übrigen soll das eingebettet werden in mehrere musikartige Stücke, einer Form, in der ich eine gewisse Sicherheit habe, und Lieder, die gewissermaßen eine Mischform sind, wobei die Liedform gut oder problemlos funktionieren wird, so daß, falls die Gedichtform nicht möglich ist, immerhin noch eine Rekurrenz auf die Liedform möglich sein wird, so daß der Film auch dann nicht scheitert.




14/4/89

die Jugendlichkeit gewonnen im Schatten der naturwissenschaftlichen Gemeinde, dort finden sich meine Zielvorstellungen von Leistungskarriere: einen winzigen Effekt finden, der nach dem eigenen Namen benannt ist, wäre so etwas wie das Höchst-Erreichbare.
(dann natürlich der Schreck bei der realen Karriere)

und so ähnlich die Überlegungen dieses Denkens in Bezug auf das Filmmachen: einen gutüberlegten Vorschlag ausführen und zur Diskussion bringen, neue Effekte nutzen und versuchen, mit neuen Formen etwas diskutables zu konstruieren: ein paar Jahre gab es diesen Zusammenhang.

nie verstanden, daß anderen dieses naturwissenschaftliche Wechselspiel nicht selbstverständlich war: in Kenntnis der Wissenslage einen neuen Vorschlag machen, diesen diskutieren, auch abschmettern zu lassen, und dann einen neuen, modifizierten Vorschlag zu machen, oder auch eingestehen müssen, daß der Vorschlag von jemandem anderen besser ist usw ---

ein ganzes Jahr mit Schnitt im Schneideraum verbracht, welche Verschwendung von Zeit: statt faul im Park zu liegen oder in Cafes und Kneipen rumzuhängen und sich Gedanken über das Verstreichen der Tage zu machen, und wie sie sich ähnlich sehen und unterscheiden, dieser idiotische Prozeß der Arbeit von Tag zu Tag, wo die Tage identisch werden abgesehen vom langsamen Fortschreiten des Produkts, aber dieser mühsame Fortschritt nur der Versuch, es etwas ähnlich zu machen, was man schon kennt, und dessen Aussagefähigkeit so eingeschränkt ist usw ---

This, then, is "mastery": ability to not take fright at the procedure of nonbeing - as another form of one's own absence.

diese Kette von Gedanken, wie die überhaupt darstellen, nur einen einzigen.

Wenn eine Bildfolge von 10 oder so Einstellungen steht - EINEN Gedanken kann man das nicht nennen, eher ein Stenogramm - an jedem Schnitt - von 10, 15 Gedanken (oder Gedankenlosigkeiten) - und nicht die haben eine rhythmische Struktur, sondern ihre Behälter; ganz anders als bei Gedichten: dort bilden die Worte die rhythmische Struktur, und die Worte BILDEN den Gedanken.

Diesen Unterschied hatte ich glaub ich schon als 17-jähriger gefühlt, als ich an diese Bildergedichte dachte, irgendwie waren sie immer schon nach drei Einstellungen am Ende.




17/4/89

Diese Absicht, in den Bereich des Gedankens einzudringen, kreuzen mit zwei gedichtartigen, besser gedichtsubstanzartigen Stücken, die ich 1974 geschrieben habe; natürlich hier keine vollständigen Umsetzungen der Texte, womöglich aber einzelne "Episoden" oder Sätze, als Teil des ganzen Kontinuums, je nach finanzieller Ausstattung und konzeptioneller Hinwendung. Diese Texte bilden sozusagen eine Vergangenheitsebene, die in die Gegenwart die Finger steckt, wie genau erst am Schluß zu sehen; so daß es sich am Ende "richtig" anfühlt.

Wie es aussehen wird: schwer zu sagen. Auf jeden Fall ein Kontinuum von Bildern, Musik und Worten von sechzig oder mehr Minuten, vermutlich in einer Nummernfolge, vielleicht 40 Einzelstücke, die durch Schwarzfilm oder ein anderes Signal voneinander getrennt sind; einige Motive kommen wieder und alle sind verbunden durch einen einheitlichen Stil und die Stimme, die das zusammenhält, ein direkt operierendes Ich, unironisch, und wenn nicht explizit der Wahrheit verpflichtet, so doch zumindest nach Möglichkeit auf der Höhe des eigenen Erfolgs- und Erkenntnisstandes diesem standhaltend, ohne den Umweg über das ER, wie es der normalen Filmform unumgänglich ist, direkt vom ICH zum Zuschauer.

Der Titel GEDICHTE, LIEDER UND STÜCKE soll andeuten, daß es nicht um eine spezielle Gegebenheit geht, die näher beleuchtet wird, sondern um den Gesamtkomplex des Erlebens, und inwieweit man ihn überhaupt abbilden kann. Die Vorgabe der beigefügten Prosa soll nur ein Gefühl der Zeit geben, von der aus dieses Erleben gemessen wird, in der aktiv die Richtung bestimmt wurde, in der das Leben sich verschiebt. Mich interessiert an dem Text die eigenartige Mischung von Unternehmenslust und Ungläubigkeit gegenüber den von den Unternehmen hervorgerufenen Begegnungen, so als könnte man nicht glauben, daß das, was einem da begegnete, überhaupt Leben genannt werden darf.

Diese Ungläubigkeit habe ich inzwischen verloren, inzwischen glaube ich 100%-ig, was mir begegnet, ich bin eher erstaunt, daß sich nicht viel Schlimmeres ereignet, nach Maßgabe meiner jetzigen Kenntnis der menschlichen Natur und Umstände.
Ich weiß nicht, ob das alles so gelingen wird, formal entscheidend ist jedoch, inwieweit der Charakter der Gegenwärtigkeit des Filmbildes durch massive Spracheingriffe gebrochen werden kann, so daß, wenn nicht schon ein Imperfekt vielleicht ein Hauch von Perfekt oder wie heißt diese eigenartige Konstruktion eigentlich, die im Englischen so geläufig ist: Having noticed that life is a miserable affair I could lead a happy existence. Irgendwas mit Partizip oder Gerundium, so daß einiges gewonnen wäre, wenn man Möglichkeiten einer gerundiven Verschachtelung finden könnte.

Der Film möchte auf keinen Fall irgendeine massive Botschaft loswerden, wenn er schon Propaganda sein wird, dann allein für das Recht des Individuums, sich nach seinen Möglichkeiten ohne Rücksicht auf irgendwelche Ideologien ein Bild von der Welt zu machen und die Bedeutungen seiner Erfahrungen zu wichten, zusammenzustellen und zu interpretieren, zu nichts verpflichtet als einem Gefühl von Wahrhaftigkeit, was immer das wert ist.

Es ist natürlich schwer für Mitglieder des Gremiums, dies zu bewerten und auch den finanziellen Rahmen zu beurteilen, innnerhalb dessen so etwas stattfinden könnte.

Zum einen handelt es sich um nichts anderes als um ein Plädoyer für die freie Meinungsäußerung, und die wird man wohl keinem absprechen, mir nicht und auch keinem anderen; aber andersherum gibt es keine Verpflichtung der Gemeinschaft jedem einzelnen die freie Meinungsäußerung um jeden Preis und in jedem Medium zu ermöglichen, speziell in einem so kostenaufwendigen Bereich wie Film.
Auf der anderen Seite ist der Versuch der individuellen Meinungsäußerung auf dem Gebiet des Films beinahe ein Forschungsunternehmen, weil so gut wie nichts in dieser Richtung gearbeitet wurde und als Klassiker der Filmkunst (ich möchte betonen zu Recht) ausgesprochene Propagandafilme gelten, in dem das Recht des Individuums auf Meinung buchstäblich zertreten wird (Eisenstein, Vertov, Dowshenko, Riefenstahl), und eine solche Korrektur des Möglichen aus den Bereich der Propaganda heraus wäre schon was wert.

In der letzten Zeit ist es um solche Bemühungen merklich ruhiger geworden, aber zur Zeit des Entstehens der Texte waren sie noch sehr virulent, auch das ein Grund, Texte aus dieser Zeit zu nehmen; und es gab so viele Ansätze in diesen Bereich hinein, zB die Filme von Kurt Kren, die - nie sehr bekannt - heute fast schon vergessen sind, und in einer Flut von Propaganda für die plattesten narrativen Systeme ganz unterzugehen drohen, ohne daß irgendwer es überhaupt bemerkt.




AUS BOMBON:

Flackerfilme:

aus dem Gefühl heraus gemacht, daß man es der Welt nun wirklich nicht mehr zumuten konnte, deutsche Fressen anzugucken, deutsche Fresse in deutschen Landen oder noch furchtbarer (heute noch) deutsche Fressen im Ausland, diese ewigen Verbrecher, denen keiner abnimmt, daß sie reif wären für eine Lektion in Toleranz, die ja mit Menschsein zu tun hat; nein, erst mal müßten sie verständlich machen, daß sie überhaupt Menschen sind. Sich sozusagen auf de-profundis zurückwerfen, in Einzelhaft versuchen zu erkunden, was denn das ist, der Mensch als bestraftes Einzelwesen. Flackerfilme: Das Ich in Einzelhaft äußert sich.

Jetzt vielleicht (1989) darf man als Deutscher einen anderen Deutschen angucken und mit ihm reden ohne daß man Angst haben muß, sofort wieder zu einer faschistischen Maschine zu werden.

Erst Gombrowicz verdanke ich eine Vorstellung von Menschen, die mir die Deutschen erklärlich macht, jetzt als 45-jähriger spüre ich allmählich, daß ich Mut bekomme, das Verhalten von Menschen untereinander zu beschreiben ohne Irrsinn abbilden zu müssen, vielleicht weil ich zu ahnen beginne, wie der Irrsinn in den Menschen verankert ist.
"Erst jetzt soweit", herrlich.
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