K. Wyborny
HOMMAGE AN LUDWIG VAN BEETHOVEN
(op. 111 und Missa Solemnis)
73 Minuten Film auf Video © copyright 1978/1986/2006 K. Wyborny
Produktion, Regie, Buch, Kamera und Schnitt: K. Wyborny
Musik: Ludwig van Beethoven op. 111 und op. 123 (Missa Solemnis)
op. 111 gespielt und arrangiert von K.Wyborny
Missa Solemnis in einer bearbeiteten Radio-Aufnahme des NBC-Symphonie Orchesters unter der Leitung von Arturo Toscanini, Carnegie Hall, New York, vom 28.12. 1940
(mit z.T. Klaviereinsprengseln von K. Wyborny)
Versuch der Visualisierung zweier Beethovenscher Spätwerke, in fünf Teilen:
1. op. 111 - 1
2. op. 111 - 2
3. Gloria (aus der Missa Solemnis)
mit Bildern (in der Reihenfolge ihres ersten Erscheinens) vom Lake Baringo, aus Nakuru, Tambach, Ndarawga, Sagana, Kabarnet, Karatina, Kiganjo, Nyahururu, Kapsabet, Chebloch, vom Mount Kenya, aus Mugondoi, Biretwo, Marigat, Naru Moru, Rumuruti, Nyeri, Nandi Hills, Loruk, Subukia und dem Subukia Valley. Das christliche Sentiment fällt über die Hütten Afrikas her und zieht es in seinen Zusammenhang, bis sich in der großen Fuge des Gloria seine andere Natur offenbart: die Musik wirkt auf einmal wie ein riesiges Rad, das Afrika überrollt, das dortige Leben zerquetscht und zum Teil eines gewaltigen Musters macht, gegen das es keine Gegenwehr gibt.
4. Sanctus (aus der Missa Solemnis)
mit Bildern aus (in der Reihenfolge ihres ersten Erscheinens) Rothwell, von den Liverpool Docks, aus Ravensthorpe, Sheffield, Runcorn, Huddersfield, Bradford, Ashton upon Lyne, Stockport, Manchester, Leeds, Glossop und Keighley. Die Orte, von denen einst die Beherrschung der Welt ausging, werden ein letztes mal heilig gesprochen, doch das stolz vibrierende Sentiment des Benedictus trifft nur auf verfallene Fabrikhallen an zugeschütteten Häfen, auf eine geprügelte Erde, die zum Opfer ihres Ehrgeizes geworden ist.
5. Agnus Dei (aus der Missa Solemnis)
mit Bildern aus (in der Reihenfolge ihres ersten Erscheinens) Oltepesi, Tigoni, Olepotos, Limuru, Eldoret, vom Lake Magadi, aus Naivasha, Kaptagat, Muguga, Plateau, Chepkorio, Magadi, Equator, vom Lake Elementeita, aus Gilgil und vom Hell's Gate. Neben den Hütten der Einwohner sind nun auch vermehrt Resultate der Europäisierung Afrikas zu sehen: Straßen, ländliche Urbanität und Spuren einer Industrialisierung, die rührend halbherzig und zugleich brutal ist. Empört versucht eine Klaviermusik gegen das Mitgefühl der Beethovenschen Musik anzugehen, bis auch diese in einer Kakophonie ihrer Bestürzung über den Zustand der Welt Ausdruck verleiht.
Stimmen:
Klaus Wyborny, ein Stammgast des Festivals, lehrt uns in seiner "Hommage an Ludwig van Beethoven", wie man Töne sehen kann und welches Abenteuer die Suche nach Zusammenhängen darstellt - ein enormes, radikales Musikvideo gegen alle Musikvideos, voller Assoziationen über mehr als 200 Jahre Kulturgeschichte, die von Europa nach Afrika reicht. - Hans Schifferle, Süddeutsche Zeitung vom 25. Okt. 2006 anläßlich der Premiere auf der Viennale in Wien
Der Film beginnt mit einer Visualisierung von Beethovens Sonate Nr. 32 c-moll op 111, und um ein Haar wäre Wyborny fast am ersten Satz gescheitert. Ja, fast hätte ihn das "wilde, kahle Feuer" (Kaiser) dieser letzten Beethovenschen Sturmmusik in Stücke gerissen. Wer sich nämlich hier, wenn das aggressive Allegro explodiert (nachdem die Sonate zunächst so gespreizt mit einer ausdrücklich "falschen" Adresse im altertümelnd französichen Ouvertürenrhythmus begonnen hatte), auf jeden Bruch und alle Extreme einlässt; wer diese dialektischen Spanungspole unbedingt in feinsten agogischen Abstufungen herausarbeiten, die Tempokontraste kantig modellieren will, den zerreißt es. Wyborny zog sich, Beethoven hätte das bekanntlich ebenso gemacht im Ernstfall, improvisatorisch an den eigenen Haaren aus dem Abgrund. Im Publikum haben wohl viele von dem Drama nichts bemerkt. Andere merkten es, erschraken, fassten sich, atmeten auf - und waren dann überwältigt von der genialen Lösung.
Im zweiten Satz, dem langsamen, muss sich das Wunder der Arietta ereignen. Er ist noch schwerer zu spielen als der erste. Wie ein Kinderlied floss diese einfache Gesangesrede aus Wybornys Fingern und floss durch seine Bilder hindurch. Sehr hell, sehr leicht. Nicht zu langsam, nicht zu schnell, keine Geheimnistuerei, kein Geraune. Einfach nur so ein Lied. Landet im Zeitraffer und verdichtet sich von Variation zu Variation, ohne dabei den Kinderblick zu verlieren oder aufzuschrecken aus dieser altersweisen Schildkrötenruhe.
Es ist ja schon viel geschrieben worden über diese Melodie und ihre überirdischen Verirrungen, ihren Swing, ihr Tinnitusglockenklingeln, ihren Stillstand und ihr Nicht-Enden.Wollen, von Thomas Mann, von Igor Strawinsky und Milan Kundera, und das alles unbedingt treffend, wahr und so weiter. Und müssen doch alles wieder vergessen in dem Moment, wenn die Musik neu an uns vorübergeht. Zwanzig Minuten, ungefähr, dann hört das hell und leicht wieder auf, der Pianist klatschnass, wir alle in Tränen. - E.B. im Standard
Aufsatz von Dietrich Kuhlbrodt (aus "Schnitt", Dez 2006)
Bilder: