K.Wyborny

Wie, warum ich Bilder malte und warum nicht

(leicht modifiziert veröffentlicht in einer Broschüre des Kunstvereins Hannover Oktober 1981)


(Photo aus dieser Broschüre: K.Wyborny mit Sigurd Hermes)


Nachdem sich im Sommer 1978 meine Freundin von mir trennte, hatte ich vom Filmemachen die Nase voll. Die bürokratische Schwerstarbeit, die ich in meine letzten Filme gesteckt hatte, ekelte mich an, und ich suchte einen Bereich, in dem ich mit mehr Emotionalität in kürzerer Zeit einen vorzeigbaren Abbildungsvorgang erzeugen konnte. So wollte ich also im Lauf des Sommers zehn Bilder malen.

Müde von der realistisch-perspektivischen Abbildung beim Film und angewidert von der damit einhergehenden Ritualisierung der dynamischen Bildkomposition, malte ich abstrakt und unterwarf mich Gleichverteilungsprinzipien von Bildelementen bei der Füllung des Bildrechtecks.

Die Arbeit schritt recht zügig voran. Beim fünften Bild wurde das regelmäßige Fünfeck dominantes Bildelement. Es ist das einfachste regelmäßige Vieleck, das aneinandergelegt eine ebene Fläche nicht ohne Zwischenräume ausfüllen kann. Die Zahl Fünf dominierte meine nächsten Bilder. Die Fünf ist sozusagen eine erweiterte Drei, sie setzt sich deutlich von Zwei oder Vier ab, die ein symmetrisches Bild unseres Universums suggerieren, und auch die Drei war als Quarkzahl in der Elementarteilchentheorie in ihrer Einfachheit verunglückt, Von nun an bestand meine Palette aus fünf vorfabrizierten Farben, die nie gemischt wurden: Rot, Grün, Blau, Gelb und Ocker. Rot/Grün für das Tier/Pflanzenleben (Hämoglobin & Chlorophyll), Blau für das Wasser (vom Meer reflektiertes rayleighgestreutes Licht), Gelb für den Sand (vom Wind zerriebene Bergrücken) und Ocker für die Erde, den Humus, in dem sich alles vermengt, der alles verbindet. Dazu kam Schwarz für das Nichts und Weiß für das reine Licht.

Nachdem die ersten acht Bilder mit akzeptabler Lockerheit in annehmbarem Tempo gemacht waren, erlag ich im neunten, der "Parklandschaft", meiner Vorliebe für Systematik. Das Grundgitter dieses Bildes ist ein streng ausgerechnetes Abbild einer eingeschränkten Fünferpermutationsgruppe:

 


("Parklandschaft", 1978, 150 x 40 cm, nur auf CD-Version)

Dieses Gittermodell wurde im zehnten Bild, dem "Paradies der Bürokratie", beibehalten, aber zu den fünf verschiedenfarbigen Fünfecken als Bildelement traten noch fünf Fünfeckgrößen hinzu und eine komplizierte, sich nie wiederholende Relation zwischen Farbzuteilung und Größenverteilung:

 


("Das Paradies der Bürokratie", 1978, 151 x 70 cm, nur auf CD-Version)

Die Positionsbestimmung der Fünfecke innerhalb des Gittersystems erfolgte durch den Wurf von Fünfeckmodellen. So repräsentiert "Das Paradies der Bürokratie" die Perversion des gezähmten Zufalls in Form einer hypothetischen Landkarte. Es ist ein symbolischer Stadtplan, in dem sich das bürokratische Denken Artikulationsareal schafft, eine konkrete Utopie des perfekten bürokratischen Staats.

Nun, die zehn Bilder waren jedenfalls gemalt, und meine Aversion gegenüber bürokratischen Arbeitsabläufen beim Filmmachen hatte mich auch beim abstrakten Malen eingeholt, und so faßte ich Pläne, zeichnen zu lernen und drang ein in die Theorie der perspektivischen Abbildung.

Da traf mich ein doppelter Unglücksschlag, ich bekam eine Filmprofessur in Columbus/Ohio, und dort verlor ich meine Aufzeichnungen über Perspektive.

In Ohio malte ich, um nicht verrückt zu werden. Ich behielt das Grundmuster der eingeschränkten Fünferpermutationsgruppe bei, während mich die Regelmäßigkeit des Fünfecks als Idealisierung tief verstörte. So gelangte ich zur Idee des Flecks, und es entstand "In Columbus/Ohio", nach dem gleichen Grundmuster, nach dem "Das Paradies der Bürokratie" gearbeitet war, nur wurde das regelmäßige Fünfeck durch unregelmäßige Flecken als Bildelement ersetzt:

 


("In Columbus/Ohio", 1978, 76 x 71 cm, nur auf CD-Version)

Lange blieb mir das schwarze Kreuz unverständlich, das ich durch diese beiden Bilder legte. Heute glaube ich, daß es meinen Haß auf meine Schwäche für bürokratische Arbeitsweisen symbolisiert. In Columbus gab es dann für mich ein malerisches Urerlebnis. Ich malte "House-Lake-Tree (it happened one night)", das nicht in dieser Ausstellung ist. Es fing an mit einer ländlichen Idylle, über die ich, unzufrieden, immer mehr farbige Flecken setzte, bis schließlich nur noch eine Fleckenstruktur übrig blieb, und die von der Grundierung noch stehenden Stellen wurden schwarz. Zum ersten Mal hatte ich ein Bild in einer Nacht fertiggemacht, und das gefiel mir sehr gut. Es wurde der Ausgangspunkt meiner folgenden Arbeiten. Bildermachen wurde für mich identisch mit der Schaffung einer explosiven Fleckenverteilung, die nur mühsam durch die Containerqualität des Leinwandrechtecks eingedämmt wurde.

Zurück in Deutschland, feierte ich diese Entdeckung mit "Haus, Baum und Fluß im Paradies der Anarchie" und einer Reihe von anderen Bildern:


("Haus, Baum und Fluß im Paradies der Anarchie", 1979, 140 x 150 cm, nur auf CD-Version)

 

Mit "Blond" schließlich, das ich für eine Performance in der Buch Handlung "WELT" in Hamburg machte, fühlte ich mich auf dem Höhepunkt meiner malerischen Schaffenskraft, der Spachtel hatte den Pinsel abgelöst, und endlich hatte ich einen so direkten Zugang zur Leinwand gefunden, daß sich Jahre ungetrübter malerischer Schaffenskraft am Horizont abzeichneten:


("Blond", 1979, 140 x 150 cm, nur auf CD-Version)

Nun geht das Leben eigenartige Gänge. Meins wurde auf einmal beherrscht vom Komplex der Eifersucht, gegen den sich die Feier meiner Haarfarbe nicht durchzusetzen verstand.

Das Eifersuchtsthema erzeugte Spuren in der Bildkomposition. Über meine mittlerweile üblichen Fleckenstrukturen in den fünf Grundfarben legte ich eine dunkle Ringstruktur, mit der zwei kurze Striche zu kämpfen hatten, sozusagen zwei Schwänze im Bereich der Umklammerung einer übermächtigen Vagina:

 


("7 Tage Eifersucht", 1979, 5 mal 31 x 34 cm hintereinander gestellt, nur auf CD-Version)

Durch Serialisierung dieses Komplexes versuchte ich, meiner Verwirrtheit zu entrinnen. "Deutschland im Herbst (dreigeteilt niemals)" ist eine dieser Serien:

 


("Deutschland im Herbst - dreigeteilt niemals", 1979, drei mal 50 x 47 cm, nur auf CD-Version)

"Aus dem Schlauchboot der Erinnerung" eine andere. Diese besteht aus drei Unterserien. Die erste ist betitelt "Aus den Höhlungen der Pubertät" und stellt den ödipalen Eifersuchtskomplex in schonungsloser Offenheit dar:

 


("Aus den Höhlungen der Pubertät", 1979, 5 mal 19 x 21 cm, nur auf CD-Version)

Die zweite heißt "Die Setzung junger Mannesjahre". In ihr wird das Eifersuchtsthema durch Randbildung zurückgedrängt und die Bilder nähern sich der Idee vom hübschen Objekt:

 


("Die Setzung junger Mannesjahre", 1979, sieben mal 19 x 21cm, nur auf CD-Version)

 

Die dritte Unterserie schließlich hat den programmatischen Titel "in der Wüste der Weisheit", und in ihr verliert sich der Odipuskomplex in vier schmalen Schlitzen, die zwei Paaren gleich durch eine weiße Wüste wandeln (ohne Abbildung).

Die Vierzahl hatte endlich die Fünf besiegt, und mir schien ein Abschluß meiner malerischen Arbeiten an den Landkarten des Bewußtseins erreicht zu sein.

Im Künstlerhaus Hamburg veranstaltete ich daraufhin eine Show unter dem Titel "Eifersucht!", in der zu Beginn die einzelnen Bilderserien zum Teil unter anderen Titeln hintereinander an der Wand standen, hier beispielsweise Die Höhlungen der Pubertät und die Die Setzung junger Mannesjahre als "Pasolini verfilmt die 100 Tage von Sodom Teil 1 und Teil 2":


("Pasolini verfilmt die 100 Tage von Sodom Teil 1 und Teil 2", 1979, fünf und sieben mal 19 x 21 cm hintereinandergestellt, nur auf CD-Version)

Im Verlauf der Performance wurden die Bilder, welche von einem entfernt an ein Schiff erinnerndem Ensemble mit dem Titel "Aus dem Schlauchboot der Erinnerung" ergänzt wurden,

 


("Aus dem Schlauchboot der Erinnerung", 1979, sieben mal 51 x 49 cm und Stahlstange mit zwei Farbflecken, nur auf CD-Version)

einzeln in ein wirkliches Schlauchboot geladen, dessen Luft am Ende abgelassen wurde, so daß das einzige, was von dem Ereignis verblieb, ein großer, chaotischer Bilderhaufen war.

 

Diesen Bilderhaufen betrachtend, fand ich wieder Lust am Filmmachen, und es entstand 1980 "Das szenische Opfer", das als Videoprojektion in den Ausstellungsräumen zugänglich ist. Vor drei Monaten (nach der Trennung von einer neuen Freundin) fing ich wieder an zu malen, aber schon nach vier Bildern ging mir die Puste aus. Gegen das Verve der Neuen Wilden kann sich mein Selbstbewußtsein malerisch nicht mehr behaupten, und so bleiben wohl die in dem großen Bilderhaufen versteckten Teile aus "In der Wüste der Weisheit" mein letztes Wort auf dem Gebiet der Malerei. Das Leben geht indes weiter, und statt zu malen drehte ich einen Super-8-Spielfilm mit dem Titel "Am Arsch der Welt".

(veröffentlicht in "Wat den een..." Ausstellungskatalog Kunstverein Hannover anläßlich einer Austellung von zwanzig seiner Bilder Oktober November 1981)


zurück zu Sonstiges | zurück zu Performance